Bergkarabach: der Konflikt eskaliert schleichend
Die Region, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, jedoch von Armeniern bewohnt wird, ist umstritten. Erneute Kämpfe gab es im September 2022. Seit Anfang Dezember 2022 ist der Lachin-Korridor - die einzige Verbindungsstraße nach Bergkarabach - blockiert, so dass keine Waren mehr in die Exklave, in der ca. 120.000 Menschen leben, gelangen können. Der Internationale Gerichtshof hat Aserbaidschan bereits am 22. Februar aufgefordert die Blockade zu beenden - ohne Erfolg. Seit Mitte Juli kann selbst das Rote Kreuz keine Humanitäre Hilfe mehr leisten, weil den Mitarbeitenden der Zugang verwehrt wird. Luis Moreno Ocampo, ehemaliger Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, spricht sogar von einem andauernden Genozid gegen die 120.000 Armenier, die in Bergkarabach leben.
Jetzt spenden für Geflüchtete und Vertriebene
Ein Konflikt am Rande der Wahrnehmung
Inzwischen verteilen sich ca. 30.000 Geflüchtete aus der Region Bergkarabach über ganz Armenien. Mitarbeitende von Caritas Armenien wie Angela Gregoryan unterstützten seit Jahren die Menschen, die vor dem Krieg in Bergkarabach in das armenische Kernland, vor allem in die Region Sjunik im Südosten Armeniens geflohen sind. "Ich arbeite hier, um den vielen Menschen zu helfen, die vom Konflikt in Bergkarabach betroffen sind. Tausende sind nach den Kämpfen im September 2020 aus der Region Bergkarabach in den Südosten Armeniens geflohen. Es ist ein Konflikt, den die Weltöffentlichkeit kaum wahrnimmt. Die Menschen haben ihre Heimat und ihren Besitz verloren und müssen ganz neu anfangen. Wir unterstützen sie dabei, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen und leisten psycho-soziale Unterstützung."
Von Angela Gregoryan und ihren Kolleginnen und Kollegen der armenischen Caritas erhalten die Geflüchteten Unterstützung, wenn sie die Unterkünfte, in die gezogen sind, renovieren müssen. Oft handelt es sich um Rohbauten, Blech- oder Bretterverschläge. Wie bei Valeri Matevosyan und seiner Frau Jelena Arapetyan, die im September 2020 vor dem Krieg in Bergkarabach geflohen sind. "Die aserbaidschanischen Soldaten waren schon sehr nah", berichtet Jelena Arapetyan. "Wir sind wie in der Bibel mit einem Esel geflohen und konnten dementsprechend wenig mitnehmen. Ein Auto haben wir nicht." Das Haus, in dem sie nun wohnen, am Rande des Dorfes Aravus nahe der aserbaidschanischen Grenze, haben sie von der Stadtverwaltung erhalten. "Wir haben alles selbst hergerichtet", sagt Valeri Matevosyan. "Das Haus ist sehr baufällig. Aber wir haben keine andere Wahl."
Die Geflüchteten bekommen oft nur baufällige Häuser, die sie mit Unterstützung von Caritas Armenien und Caritas international reparieren.Bente Stachowske/ Caritas international
"Daheim fühle ich mich nur bei Angela und ihren Kollegen der Caritas"
Die armenische Caritas hat in Zusammenarbeit mit Caritas international aus Deutschland das Ehepaar dabei unterstützt, das Dach und die Tür zu reparieren. Das macht einen großen Unterschied. "Vorher, mit der alten Tür, war es immer kalt", erklärt Jelena Arapetyan. "Jetzt ist es warm und nicht mehr so laut. Auch das Dach hat alles besser gemacht. Vorher hat es auf unsere Köpfe geregnet. Jetzt ist es trocken." Die Caritas wird das Ehepaar auch weiter unterstützen: Sie bekommen zwei Kälbchen, damit sie die Milch verkaufen und Käse für den Verkauf produzieren können. Angela Gregoryan bleibt an ihrer Seite.
Sie kümmert sich auch um Sofia Baghdasarova, die nach dem Krieg mit ihrem kranken Mann und ihren vier Söhnen in die Gegend von Goris gekommen ist. "Die Soldaten waren schon sehr nah", berichtet Sofia Baghdasarova. "Sie haben auch Zivilisten angegriffen. Deshalb mussten wir fliehen. In Karabach hatten wir ein schönes Haus, eine Landwirtschaft mit Fischteichen und Obstanbau, Pilzen und Spargel, Feigen- und Maulbeerbäumen. Wir wollten dort Tourismus entwickeln. Das Haus hier haben wir durch Verwandte gefunden. Jetzt bebauen wir den Garten hier, aber nur zum Überleben, nicht mit der gleichen Leidenschaft wie zu Hause.
Ich habe sehr großes Heimweh. Zu Hause waren wir wohlhabend. Hier fühle ich mich nicht sonderlich willkommen. Aber ich weiß auch nicht, wohin ich sonst gehen soll. Auch in Deutschland, Frankreich oder Spanien wäre ich ja immer eine Fremde. Daheim fühle ich mich nur bei Angela und ihren Kollegen der Caritas. Sie haben mich bei der Renovierung des Daches unterstützt und kümmern sich um mich und meine Familie. Ich hoffe, dass irgendwann alles wieder gut sein wird und ich nach Hause zurückkehren kann."
"Wir hatten nur 15 Minuten, um unser Dorf zu verlassen"
Angela Gregoryan und ihre Kolleginnen und Kollegen unterstützen auch Tamara Akapetyan und ihre Familie. Ihr 24-jähriger Sohn Alen war als Soldat im Einsatz im Krieg gegen Aserbaidschan und hat Schreckliches erlebt. Davon zeugen die Bilder auf seinem Mobiltelefon. "Seit meinem Einsatz leide ich unter epileptischen Anfällen", sagt er. "Ich will aber zurück an die Front und die Armenier verteidigen." Alens Bruder David hat eine geistige Behinderung, auch seine Schwester Venera lebt mit ihren beiden Kindern bei ihren Eltern.
"In Karabach hatten wir einen Garten, eine schöne Wohnung", berichtet Tamara Akapetyan. "Wir hatten alles. Mein Mann Anushavan hat uns hierhergebracht, als der Krieg begann, und ist noch einmal zurückgefahren, um ein paar Dinge aus unserem Haus zu holen. Wir mussten in großer Eile fliehen. Wir hatten morgens erfahren, dass der Krieg ausgebrochen ist und hatten nur 15 Minuten, um unser Dorf zu verlassen."
"Das Haus, in dem die Familie jetzt lebt, haben sie durch die Vermittlung von Anushavans Schwester, die hier in der Nähe lebt, erhalten", berichtet Angela Gregoryan. Es ist in einem sehr schlechten Zustand. Die Wände sind kaputt. Es ist nicht trocken. Und es ist viel zu klein für sieben Personen. Alle schlafen zusammen im Wohnzimmer auf dem Sofa und auf dem Boden. "Wir haben der Familie geholfen, einen zweiten Raum an das Haus anzubauen. Außerdem haben sie eine neue Haustür erhalten, damit die Wärme in der Wohnung bleibt." "Wir sind der Angela und ihren Kollegen von der Caritas sehr dankbar", sagt Tamara Akapetyan. "Wir werden wohl hierbleiben. Wir halten ein paar Hühner im Garten und würden gerne noch mehr halten. Dann können wir die Eier verkaufen."
Mitarbeitende von Caritas Armenien wie Angela Gregoryan stehen seit Jahren an der Seite von Geflüchteten aus Berg-Karabach.Bente Stachowske/ Caritas international
Auf diese und ähnlich Art unterstützt die Caritas ca. 3.000 Menschen, die vom Krieg mit Aserbaidschan betroffen sind. Draußen, vor dem Haus der Familie Akapetyan sind die armenischen und aserbaidschanischen Militärposten in den Bergen zu sehen. Sie sind vor dem Krieg geflohen, ihm aber nicht entkommen. In Bergkarabach selbst spitzt sich die Versorgungslage währenddessen kontinuierlich weiter zu.