Erst die Flucht, dann die Flut: Traumatherapie in Ahrweiler
Seit Mai 2020 arbeitet Hannah Knopp bei der Caritas Rhein-Model-Ahr im Fachdienst Migration - genauer: im psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge. Dort ist sie überwiegend für die Caritas in Ahrweiler zuständig, wo sie jede Woche rund zehn Klient_innen betreut. Das Angebot gab es auch schon vor der Flut, im Rahmen der Fluthilfe wurde es nun jedoch intensiviert. Hannah Knopp hat uns erzählt, wie die Therapie abläuft und welche besonderen Herausforderungen die Traumatherapie mit Flüchtlingen beinhaltet.
Caritas international: Was haben Ihre Klient_innen für Probleme, die sie zu Ihnen führen?
Hannah Knopp: Grundsätzlich können Klient_innen mit verschiedenen psychischen Problemen zu mir kommen, fast immer kommen sie aber aufgrund traumatischer Ereignisse, die sie entweder in ihrem Heimatland oder auf der Flucht erlebt haben. Infolgedessen kann sich auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Ich begleite diese Menschen therapeutisch. Manchmal hören die Betroffenen direkt von unserem Therapieangebot und melden sich dann bei uns. In den meisten Fällen entsteht der Kontakt aber über Dritte - zum Beispiel Menschen, die in der Asylverfahrensberatung arbeiten oder in psychiatrischen Kliniken in der Nähe.
Wie äußert sich ein Trauma?
Häufig äußern sich Traumata in der Emotionsregulation. Betroffene sind dauerhaft angespannt oder wirken, als würden sie neben sich stehen. Manche starren vor sich hin, als wäre sie gar nicht da. Andere sind sehr emotional und müssen häufig weinen oder zittern. Das ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), der häufigsten Traumafolgestörung, ist das Hauptsymptom das Wiedererleben traumatischer Elemente. Man spricht dabei von "Flashbacks", die alle Gedanken und Gefühle vereinnahmen können. Die Betroffenen fühlen sich wieder genauso, wie in der traumatischen Situation. Oftmals werden Flashbacks durch ganz unscheinbare Reize, sogenannte Trigger, ausgelöst. Das kann sogar Kaffeegeruch sein, wenn der während des Ereignisses präsent war und somit mit dem Trauma verknüpft wurde.
Infobox: Traumatherapie
Die Traumatherapie gliedert sich in der Theorie in drei Phasen, die sich in der Praxis aber häufig überlappen.
- Stabilisierungsphase: Am Anfang wird der/die Klient_in darüber aufgeklärt, was ein Trauma ist und wie man damit umgehen kann. Es werden Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt und erste Übungen zur Stabilisierung erlernt. Oft wird zu Beginn auch die Biografie besprochen. Wenn diese jedoch traumatisch besetzt ist – was bei Flüchtlingen häufig der Fall ist – braucht es dafür mehr Zeit und Vertrauen.
- Konfrontationsphase: In dieser Phase findet mittels bestimmter Techniken die eigentliche Verarbeitung des Traumas statt. Man geht davon aus, dass traumatisches Material in der „Rohform“ gespeichert ist und nicht verarbeitet wurde. Dadurch kommt es bei spezifischen Triggern im Alltag auch zu extremen Gefühlsempfindungen. Die Voraussetzung für eine Konfrontation ist, dass die Person deutlich stabilisiert ist.
- Integrationsphase: Zum Schluss wird das Erlebnis als ein Teil der eigenen Biografie akzeptiert. Eventuell kann sogar ein persönlicher „Sinn“ daraus abgeleitet werden. Der Blick wird nach vorne gerichtet und es können Ziele für die weitere Lebensplanung besprochen werden.
Wie hat sich die Flut auf das Leben Ihrer Klient_innen ausgewirkt?
Zum Zeitpunkt der Flut standen auf einmal nicht mehr die Erlebnisse aus der Heimat oder von der Flucht im Vordergrund. Ich habe immer wieder gemerkt: Da ist eine Person, die sowieso schon große Belastungen mitbringt und oftmals nicht sicher und geborgen aufgewachsen ist. Da sind nicht die Ressourcen vorhanden, die Flut zu verarbeiten. Die Erlebnisse rund um die Flut haben manche Klient_innen retraumatisiert, da sie nicht stabil genug waren. Symptome haben sich wieder verstärkt oder wurden erneut ausgelöst. Das ist natürlich immer individuell und auch abhängig davon, wie sehr die Menschen von der Flut persönlich betroffen waren.
Beispielsweise war die Unterkunft einer Klientin völlig zerstört. Da sie noch gar kein Deutsch kann, kam sie nur sehr schwer an Informationen. Zeitweise kam sie dann bei einer Familie unter, aber auch das war schwierig. Sie fühlte sich unerwünscht, fragte sich: Wie verhalte ich mich hier richtig? Was sind die Regeln? Was darf ich und was nicht? Letztendlich fand sie eine Unterkunft mit der Hilfe eines Bekannten - aber erst nach einer ganz schwierigen Zeit voller Unsicherheit. Bei der Vorbelastung, die meine Klient_innen mitbringen, ist so etwas oft nur sehr schwer zu ertragen. Das erschwert natürlich auch die Therapie der traumatischen Beschwerden, denn oft braucht es eine stabile Lebenssituation, um das Trauma wirklich zu bearbeiten. Die Flut hat vielen Menschen die Stabilität wieder entzogen.
Wie können Sie Ihren Klient_innen helfen?
Da viele meiner Klient_innen schlecht oder gar nicht Deutsch sprechen, arbeiten wir häufig mit Sprachmittlern zusammen. Es fällt den meisten Menschen leichter, wenn die Therapie so in ihrer Muttersprache stattfinden kann. Oft geht es bei meinen Klient_innen in erster Linie darum, eine gewisse Stabilisierung zu erreichen, was zum Beispiel durch das Erlernen von Achtsamkeits- und Entspannungsübungen gelingen kann. Zudem dürfen die Klient_innen nicht überfordert werden: Wenn nach einer Therapiesitzung zuhause ein Brief zum Asylverfahren wartet, der direkt mit traumatischen Erfahrungen verknüpft ist, ist es sehr schwer, Sicherheit und Stabilität herzustellen, sodass vorerst keine Konfrontation durchgeführt wird. Aber auch in der Stabilisierungsphase kann schon eine Verarbeitung des Traumas stattfinden. Grundsätzlich ist es wichtig, gezielt auf die individuellen Bedürfnisse der Klient_innen einzugehen, da jede_r eine andere Geschichte mitbringt.
Gibt es in der Fluthilfe weitere Angebote für Menschen mit Fluchthintergrund?
Die Caritas-Fluthilfe hat in den Wintermonaten regelmäßig "Wintertreffs" angeboten als Begegnungsorte für flutbetroffene Bürger_innen. Wir starten daran anknüpfend nun ein "Café International". Unsere Idee ist es, einen Begegnungsort für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu schaffen. Es werden auch Mitarbeitende von uns anwesend sein, die bei Bedarf für Beratungsgespräche zur Verfügung stehen oder erstmal über unser Angebot informieren können.
Das Interview führte Elisa Schinke im März 2022