Eine Revolution wird pflegebedürftig
Eine Landschaft aus Beton, es bröckelt der Putz. Auch bunt angestrichen und ins Licht der karibischen Nachmittagssonne gehüllt, hat die Umgebung etwas Deprimierendes. „Willkommen in Russland“, sagt Reydel Robles, breitet seine Arme in Richtung der sowjetischen Wohnkolosse des Typs Chrustschwoska aus und schmunzelt. Robles lebt und arbeitet in Santa Clara, der Stadt, in der Ché Guevara während der kubanischen Revolution seinen größten Sieg errang. Heutzutage kämpfen die Leute hier vor allem mit der Mangelwirtschaft.
Wo die Armut wohnt: Ein typischer Wohnblock in Kuba.Foto: Bente Stachowske
Ein Lebensabend in Armut
Alte Menschen in Kuba haben es besonders schwer. Selten gibt es für sie alle nötigen Medikamente in den zu leeren Kulissen verkommenen Apotheken zu kaufen. Oft bekommen sie nur zu hören, dass sie statt wichtiger Pillen und Salben auf pflanzliche Produkte zurückgreifen sollen. Kamille dient hier als Beruhigungsmittel, Papaya als Arznei gegen Bauchschmerzen und Knoblauch wird zum Desinfizieren benutzt. Die alternative Medizin in dem Inselstaat boomt, mehr aus der Not heraus als aus Überzeugung.
Hiervon abgesehen ist die Rente der meisten kubanischen Senioren winzig und bemisst sich in der Regel auf umgerechnet wenige Euro. Das staatliche System im Bereich der Gesundheitsversorgung und Pflege kann nicht verhindern, dass die Mehrheit der Menschen an ihrem Lebensabend in Armut lebt.
Und die Bevölkerung in Kuba altert im Eiltempo. Von einem Durchschnittsalter von 22,3 Jahren im Jahr 1975 verdoppelte sich der Altersschnitt bis 2015 annähernd auf 41,1 Jahre, Tendenz steigend. Gründe liegen unter anderem in der geringen Geburtenrate und der Abwanderung junger Kubaner in andere, wohlhabendere Länder, da sie in ihrem eigenen keine Perspektiven sehen – auch wenn sich die Politik der seit Jahrzehnten regierenden Kommunistischen Partei unter dem neuen Präsidenten Miguel Díaz-Canel zu liberalisieren scheint.
"Kümmerer" werden geschult
In einer von Hunderten baugleicher Wohnungen in Santa Clara lebt Blanca Perez. Mit der Energie eines Teenagers wirbelt die 74-Jährige durch die Zimmer, erzählt gut gelaunt von ihrem Alltag mit ihrer Schwester, Maria de los Angeles (78), die an vaskulärer Demenz leidet, einer Krankheit, die kleine Schlaganfälle auslöst und die Nervenfasern angreift.
Die 74-Jährige Blanca Perez bei der Pflege ihrer Schwester Maria de los Angeles (78).Bente Stachowske
„Ich kümmere mich um sie, weil sie mir wichtig ist“, sagt sie. Mal singt sie ihr etwas vor, mal bürstet sie ihr die Haare oder hilft ihr beim Essen. Sie weiß auch um die Kleinigkeiten, die bei der Pflege von Angehörigen nötig sind, aber längst nicht jeder bedenkt. Dass die Wohnung immer aufgeräumt sein sollte und die Möbel immer an der gleichen Stelle stehen sollten, damit ihre Schwester nicht stürzt, wenn sie in Gedanken durch die Wohnung geht. Oder dass eine gute Belüftung zu einem gesunden Klima im eigenen Heim beiträgt.
Gelernt hat sie dies und vieles mehr in Seminaren der Caritas Kuba, die auf der ganzen Insel sogenannte Kümmerer in den Grundlagen der häuslichen Pflege schulen. Angesichts des Fachkräftemangels hat der kubanische Staat neben der Kinderbetreuung vor kurzem auch die Altenpflege als nicht-staatliche Beschäftigungsform anerkannt. Obwohl eine privat organisierte Pflege eine Alternative zur häuslichen Pflege sein kann, sind die Preise für Familien mit einem mittleren oder niedrigen Haushaltseinkommen, die keine Überweisungen aus dem Ausland bekommen, unerschwinglich. Qualitätsstandards in der Pflege sucht man in Kuba vergebens. In der Realität tragen die Familien die Verantwortung für die Pflege ihrer Angehörigen praktisch allein – oft ohne jedwedes Fachwissen.
Die eigenen Bedürfnisse nicht vergessen!
„Ich wurde von der Caritas gut vorbereitet, um meiner Schwester besser helfen zu können“, sagt Perez. Ein bisschen habe sie sich aber auch schon ausgekannt, sagt sie und fängt zu kichern an, weil sie nicht für überheblich oder gar undankbar gehalten werden will.
Ein Tänzchen in Ehren: Die Pflege ihrer Schwester ist für Blanca Perez keine Bürde.Foto: Bente Stachowske
„Ich habe lange auf einer Intensivstation gearbeitet und natürlich auch schon einiges an Wissen mitgebracht“, sagt sie. „Aber die Seminare der Caritas haben mir nochmal verschiedene Aspekte näher gebracht, die gerade bei der häuslichen Pflege wichtig sind. Und nicht zuletzt konnte ich mich bei den Treffen auch mit Menschen austauschen, denen es genauso geht wie mir.“
Eine Sache beherzigt sie allerdings nicht so gut, findet Robles von der Caritas in Santa Clara. „Wir raten unseren Kümmerern, dass sie sich auch immer mal wieder etwas zurücknehmen, dass sie sich auch mal um sich selbst kümmern und ihre eigenen Bedürfnisse wegen der Pflege ihrer Angehörigen nicht völlig hinten anstellen sollen. Da hat Blanca noch Nachholbedarf“, sagt er und legt seine Hand auf ihre Schulter. Bei diesem Teil in den Seminaren habe sie wohl schlecht zugehört, sagt er und beide müssen lächeln.
Holger Vieth, August 2018