Corona trifft die Ärmsten weltweit am härtesten
Ihr Beitrag, um die Schwächsten weltweit in der Corona-Krise zu unterstützen:
„Die Menschen wissen nicht, wie sie die nächsten Wochen überstehen sollen“
Auf der ganzen Welt spüren die Menschen die Folgen der Verbreitung des Coronavirus. Wie ist die Situation bei Ihnen in Jordanien?
Kürzlich hat die jordanische Regierung den Notstand ausgerufen. Das bedeutet, wir dürfen die Wohnung nur noch für lebensnotwendige Dinge verlassen. Lebensmittelgeschäfte und Apotheken sind weiterhin geöffnet, aber soziale Kontakte zu Freunden und Kollegen sind - abgesehen von telefonischem Kontakt - überhaupt nicht mehr möglich.
Welche Ängste und Befürchtungen haben Sie persönlich in der aktuellen Situation?
Die jordanische Regierung hat verkündet, dass sämtliche Flüge aus und nach Jordanien gestrichen und die Land- und Seegrenzen zu den Nachbarländern geschlossen werden. Ich habe mich entschieden hier zu bleiben, auch wenn wir gerade nicht wissen, wie lange diese Reisesperre andauern wird. Meine größte persönliche Sorge ist natürlich, dass meiner Familie in Deutschland etwas passiert und ich deswegen keine Möglichkeit habe, nach Hause zurückzukehren. Niemand weiß, wie lange der Zustand andauert und welche Auswirkungen er auf die soziale und politische Stabilität Jordaniens haben wird.
"Die Folgen sind für die Bevölkerung existenziell"
Was bedeutet der Notstand für die jordanische Bevölkerung?
Die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung sowie der Flüchtlinge hier hat ja schon vor der Pandemie kaum Perspektiven gesehen, das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit lag bei 20 Prozent.
Eine Kollegin von mir saß gestern mit Tränen in den Augen neben mir, weil alle Familienmitglieder außer ihr von jetzt auf gleich ihr Einkommen verloren haben. Die Entlassungen in Jordanien beginnen bei den Mitarbeitenden mit dem niedrigsten Einkommen. Das sind die Menschen, die keine Ersparnisse haben, auf die sie zurückgreifen können.
Die Folgen des Lockdowns für die Bevölkerung sind daher wirklich existenziell. Trotzdem unterstützt die Bevölkerung mehrheitlich die Maßnahmen der Regierung. Denn die größte Befürchtung ist natürlich eine weitere Ausbreitung des Virus. Jordanien verfügt zwar über sehr gut ausgebildetes medizinisches Personal, aber die medizinische Infrastruktur war aufgrund der Flüchtlingskrise sowie schon stark überlastet, einer dramatischen Ausbreitung des Corona-Virus wäre sie absolut nicht gewachsen.
Und die Caritas?
Eine Mitarbeiterin der Caritas Jordanien misst bei einem Patienten Fieber. Sei es Ebola im Kongo oder Cholera in Krisengebieten - Caritas international hat bereits in der Vergangenheit vielfältige Erfahrungen bei der Eindämmung von Epidemien gesammelt und kann diese nun anwenden. Foto: Caritas Jordanien
Die Caritas betreibt Sozial- und Gesundheitszentren im ganzen Land, dort gehen monatlich ca. 10.000 Menschen ein und aus. Sie erhalten medizinische Grundversorgung, aber auch psychosoziale Beratung und finanzielle Unterstützung. Zudem hat die Caritas hier große Bildungsprojekte in Schulen und Kindergärten. All diese Aktivitäten mussten eingestellt werden, da alle öffentlichen Einrichtungen von der Regierung geschlossen wurden. Auch die Caritas-Büros sind geschlossen und alle Mitarbeitenden arbeiten von zu Hause. Von dieser Regelung ausgenommen sind nur die Gesundheitszentren, die eine Ausnahmegenehmigung erhalten haben, um die Gesundheitsversorgung für die Flüchtlinge und die vulnerable Bevölkerung aufrechtzuerhalten.
Aufrund der Ausbreitung des Coronavirus wurden die meisten Aktivitäten der Caritas in Jordanien vorerst eingestellt. Die Sozial- und Gesundheitszentren der Caritas, in denen monatlich ca. 10.000 Menschen ein- und ausgehen, haben jedoch eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Auf sie kommt es jetzt besonders an, um die Gesundheitsversorgung für die Flüchtlinge und die vulnerable Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Foto: Caritas Jordanien
Neue und außergewöhnliche Situation erfordern oft neue Wege und Mittel. Wie hat sich die Arbeit der Caritas verändert?
Die Gesundheitszentren mussten ihre Arbeit umstellen, um das Infektionsrisiko für Mitarbeitende und Patienten so gering wie möglich zu halten. Alle Begünstigten wurden informiert, dass sie bei gesundheitlichen Problemen nicht mehr einfach ins Zentrum kommen dürfen, sondern die Caritas im medizinischen Notfall kontaktieren müssen, um einen Termin zu vereinbaren. Auf diese Weise wurde die Zahl der Menschen, die täglich die Zentren besuchen, reduziert, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Patienten mit chronischen Krankheiten erhalten jetzt Medikamente für die nächsten Monate, damit sie nicht mehr das Haus verlassen müssen, Überweisungen können ab sofort online getätigt werden.
Damit die lokalen Mitarbeitenden hier in Jordanien die Menschen weiterhin mit einer medizinischen Notversorgung unterstützen können, brauchen Sie unsere Unterstützung.
Lebensmittelverteilungen stellen ein zu großes Infektionsrisiko dar
Sie haben die schlechte wirtschaftliche Lage im Land ja bereits angesprochen. Inwieweit verschärft sich die Situation durch die Corona-Krise weiter und was kann die Caritas für die Menschen noch tun?
Neben der Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung ist die größte Herausforderung, die Grundversorgung der Ärmsten der Gesellschaft sicherstellen. Unzählige Menschen, die schon vor der Krise unterhalb der Armutsgrenze gelebt haben, haben ihr Einkommen verloren. Caritas erhält täglich zahllose Anfragen nach finanzieller Unterstützung. Die Leute sind verzweifelt, sie haben keinerlei Ersparnisse und wissen nicht, wie sie ohne Arbeit die nächsten Wochen überstehen sollen.
Lebensmittelverteilungen in größerem Umfang stellen aber ein zu großes Infektionsrisiko dar. In der Vergangenheit hat Caritas Bargeldverteilungen über Geldkarten organisiert. Die Begünstigten konnten mit den Karten das Geld am Bankautomaten abheben und dann frei entscheiden, wofür sie es am dringendsten benötigen. Aber im Zuge des Ausnahmezustands wurden auch die Banken geschlossen und können daher keine Geldkarten mehr ausstellen. Im Austausch mit UNHCR und anderen NGOs sind wir nun auf der Suche nach alternativen Lösungen, diskutiert werden mögliche Geldtransfers über Handy oder elektronische Gutscheine für Supermärkte.
20. März 2020