Erfahrungsberichte aus dem Freiwilligendienst
Larissa Kraft (20) aus Wangen im Allgäu arbeitete acht Monate lang in Südafrika in dem Projekt NOAH ("Neighbourhood Old Age Homes"), einer Hilfsorganisation für bedürftige Seniorinnen und Senioren, die von Caritas international unterstützt wird. Larissa war in den Nachbarschaftszentren und Senioren-Wohngemeinschaften von NOAH aktiv. Einmal pro Woche war sie in den Armenvierteln (Townships) von Kapstadt im Einsatz. Am meisten beeindruckt hat Larissa, wie stark das Erbe der Apartheid in Südafrika noch spürbar ist.
Berenike Simon (19) aus Heidelberg war in einem von Caritas international unterstützten Streetwork-Projekt in Lima, der Hauptstadt von Peru. Das Projekt "El Jardin" begleitet Drogenabhängige und ihre Angehörigen. Die Organisation bietet Betroffenen psychologische Hilfe an und unterstützt sie beispielsweise bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben. Zusammen mit den Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen war Berenike in Vierteln Limas unterwegs, die viele Bewohner*innen Limas als No-Go-Areas bezeichnen würden. Berenike aber war erstaunt, wie viel Freude und Herzlichkeit ihr dort begegnet sind - trotz des Leids und der Gewalt. Noch immer hat sie das Lachen der Kinder in den Ohren.
Ci: Ihr wart in Südafrika und Peru und konntet einen Einblick in die Länder gewinnen, die den meisten Touristen wohl verwehrt bleiben. Was hat euch am meisten beeindruckt oder überrascht?
Larissa: Für mich war es die Tatsache, dass Weiße und Schwarze Menschen in Südafrika immer noch derart getrennt voneinander leben. Vor allem durch die räumliche Trennung in den Stadtvierteln. Ich habe vor meinem Einsatz viel über die Apartheid gelesen und in den Seminaren der Fachstelle Internationale Freiwilligendienste, die unser Berufsfreiwilligenjahr organisiert hat, wurde ich auch darauf vorbereitet. Als ich dann vor Ort war, war ich trotzdem geschockt. Die Trennlinien zwischen Schwarz und Weiß, die noch bestehen, sind einfach krass. Gottseidank habe ich durch meine Arbeit für NOAH verschiedene Perspektiven, Schicksale und Lebenswelten kennenlernen dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar! Auch in meiner Freizeit bin ich lieber in das Observatory Viertel in Kapstadt gefahren. Dies ist eines der wenigen Viertel, wo die Grenzen zwischen Schwarzen und Weißen verwischen, wo vor allem junge Leute diese Trennung endlich zu überwinden versuchen. Ich habe dort Freundschaften mit Menschen jeder Hautfarbe geschlossen, worüber ich sehr glücklich bin.
Berenike: Mir ging es ähnlich. Auch wenn die Kategorien in Peru nicht so stark definiert sind wie in Südafrika, war die Trennung der Gesellschaftsschichten doch spürbar. Ich bin viel mit dem Bus gefahren. Ab einem gewissen Zeitpunkt sind dann nur noch Weiße eingestiegen. Dann war klar, wir sind im Reichenviertel angekommen. Indigene Menschen kamen primär dorthin, um die Straßen zu fegen oder weil sie in einem "weißen Haushalt" angestellt sind. In Lima kannst du eine Straße überqueren und schwupps, bist du in eine andere Realität eingetaucht. Was mich aber besonders geprägt hat, war die Erkenntnis, dass wir im Globalen Norden eine bestimmte Vorstellung von "Leid" haben. Ich habe in einem der ärmsten und gefährlichsten Vierteln der Stadt gearbeitet. Die Leute haben Schlimmes durchgemacht, es gibt viel Armut, Gewalt und Drogen. Und trotzdem: Leid in unserem Sinne hat das Leben dort nicht dominiert - zumindest nicht, was das Verhalten der Menschen und ihre Einstellung zum Leben anbelangt. Zuhause in Deutschland kann ich kaum vermitteln, dass ich in den Armenvierteln Limas mehr Kinder habe lachen hören als hier.
Ci: Ein Grundgedanke des weltwärts-Programms ist der Austausch zwischen jungen Leuten aus dem sogenannten Globalen Norden mit dem Globalen Süden. Der Austausch findet in beide Richtungen statt - es kommen also auch junge Leute aus Kapstadt und Lima nach Deutschland, um hier für ein Jahr zu leben und zu arbeiten. Welche Rolle hat während eures Aufenthalts die Tatsache gespielt, dass ihr aus Deutschland kommt?
Larissa: Klar, ich wurde viel darauf angesprochen, dass ich deutsch bin. Die Südafrikaner*innen wussten gut Bescheid über den deutschen Sozialstaat und haben mir viele Fragen gestellt, zum Beispiel über die Krankenkasse oder unser Rentensystem. Erst in Südafrika ist ich mir so richtig bewusst geworden, welche Privilegien ich besitze, die andere nicht haben - nicht nur als Deutsche, sondern einfach aufgrund der Tatsache, dass ich eine weiße Hautfarbe habe. Ich bin durch meinen Einsatz einfach unglaublich dankbar geworden und möchte in meinem Leben etwas zurückgeben.
Berenike: In Peru habe ich verstanden, dass ich in genau derselben Situation stecken könnte, wie die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe. Wir sind alle Menschen und teilen uns den gleichen Planeten - aber es macht einen großen Unterschied, wo du geboren wirst und unter welchen Umständen du aufwächst. Das beeinflusst, wie du auf bestimmte Situationen reagierst.
Ci: Ihr kennt die Projekte, in denen ihr gearbeitet habt, nun sehr gut. Was ist euer Fazit? Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Projekte? Was können wir verbessern?
Berenike: Was ich super finde, ist, dass Caritas international die Projektarbeit von "El Jardin" zwar unterstützt, die einheimischen Mitarbeitenden aber unabhängig arbeiten können. Das ist wichtig für ihr Selbstverständnis und ihre Stärke. Alle, die dort arbeiten, sind mit Herzblut dabei und das, obwohl die Arbeit emotional extrem belastend ist. Leider kann "El Jardin" seinen Angestellten nur sehr kleine Löhne zahlen. Viele der ausgebildeten Psycholog*innen kommen mit dem Lohn nur schwer aus. Sie wechseln dann irgendwann in besser bezahlte Jobs beim Staat. Es ist natürlich schön, dass viele Menschen aufgrund ihres Engagements irgendwann eine gut bezahlte Arbeit finden. Für den Erfolg des Projekts wäre eine Kontinuität bei den Mitarbeitenden aber sehr wichtig. Beim Streetworking geht es ja auch viel um Vertrauen.
Larissa: Es gibt viele Hilfsorganisationen, die sich in Südafrika engagieren, beispielsweise für Waisen oder Kinder, die auf der Straße leben. Doch die meisten vergessen die vielen alten Menschen, die dringend Unterstützung benötigen - daher halte ich das NOAH-Projekt für außergewöhnlich und für sehr wichtig. Wir hatten so viele Senioren und Seniorinnen, die unsere Angebote wahrnehmen wollten. Wir konnten bei Weitem nicht allen nachkommen. Ich würde mir also wünschen, dass NOAH noch mehr Mittel für ihre wichtige Arbeit bekommt, sodass sie mehr Kapazitäten schaffen kann.
Ci: Wie hat sich Corona auf euren Einsatz ausgewirkt?
Larissa: Ich sollte eigentlich ein ganzes Jahr in Südafrika bleiben, von August 2019 bis August in diesem Jahr. Wegen Corona hat mich die Fachstelle Internationale Freiwilligendienste dann schon im März zurück nach Hause berufen. Als ich die E-Mail gesehen habe, war ich zuerst traurig und wütend. Ich wollte nicht abreisen. Zu diesem Zeitpunkt gab es ja kaum einen Corona-Fall in Südafrika und in Deutschland war gerade die Hochphase der ersten Welle. Als ich dann aber zuhause war, war ich froh. Eine Woche später ging es in Südafrika so richtig los: fünf Wochen Lockdown!
Berenike: Ich bin noch ein bisschen länger geblieben. Einen Monat habe ich noch den Lockdown in Lima erlebt. Im April bin ich dann mit einer offiziellen Rückholaktion vom Militärflughafen in Lima nach Deutschland geflogen. Auch ich war sehr traurig, weiß jetzt aber, dass es die richtige Entscheidung war. Peru ist eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder. Wäre ich dort geblieben, wäre ich für meine Gastfamilie und Freunde eine enorme Mehrbelastung. Schon ohne Corona haben sie sich für mich immer sehr verantwortlich gefühlt.
September 2020