Palästina: Humanitäre Hilfe im Nahost-Konflikt
Ihre Fragen zu dem Konflikt in Palästina und Israel
Wie schätzt Caritas international die Lage der Menschen in Gaza ein?
Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist dramatisch. Insgesamt sind ca. 1,9 Millionen Menschen, also ca. 85% der dortigen Bevölkerung, auf der Flucht - und das innerhalb eines Gebietes, das kleiner ist als Köln, aber doppelt so viele Menschen beherbergt. Über 90% der Menschen sind mit akuter Nahrungsmittelknappheit konfrontiert.
Im Rahmen ihrer momentan beschränkten Möglichkeiten versorgen die Partnerorganisationen von Caritas international nach wie vor Menschen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, u.a. auch Menschen mit Behinderung, die nicht evakuiert werden können.
Die lokalen Märkte sind leer. Es fehlt an Wasser, Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Me-dikamenten, Zelten, Decken und an Schutz vor Kälte und Niederschlag. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal, mancherorts teilen sich Hunderte von Menschen eine Toilette oder Dusche, die Gefahr von Seuchen ist groß.
Die bisher eingeführten Hilfsgüter können den Bedarf bei Weitem nicht decken, weitere Hilfslieferungen sind dringend erforderlich.
Sind Helferinnen und Helfer von Caritas international vor Ort?
Caritas international arbeitet stets nach dem Partnerprinzip, so auch in der aktuellen Situation in den Palästinensischen Gebieten. Zu unseren derzeit tätigen Partnerorganisationen gehören Missionaries of Charity (Mutter Theresa Schwestern) und Catholic Relief Services (CRS), mit denen uns eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.
Die Mitarbeitenden vor Ort sowie ihre Familien sind stark betroffen: Sie mussten mehrfach umziehen, die meisten haben Familienmitglieder verloren und sind hohen Sicherheitsrisiken ausgesetzt. Dennoch arbeiten auf bewundernswerte Weise viele der rund 50 Mitarbeitenden von CRS weiterhin.
Wie sehen die aktuell möglichen Hilfen konkret aus?
Mit ihren Partnerorganisationen in Gaza steht Caritas international - sofern die Kommunikationsinfrastruktur nicht unterbrochen ist - täglich im Austausch. Sie berichten, dass sich die dramatische humanitäre Lage von Tag zu Tag weiter verschlechtert.
Bisher konnten dank CRS-Hilfskonvois Waren wie Matratzen, Decken, Zelte, Regenplanen sowie Nahrungsmittelpakete zu den Menschen in Gaza gebracht werden. Die Wege für die in Ägypten startenden LKWs sind sehr mühsam - sie müssen ca. 40 Checkpoints durchlaufen, insgesamt sind für die Konvois vier ägyptische Ministerien und zahlreiche Logistik-Experten involviert.
Welche Mittel stellt Caritas international für die Hilfen in Gaza zur Verfügung?
Caritas international hatte anfangs 300.000 Euro für Nothilfen in Gaza bereitgestellt. Angesichts der dramatischen humanitären Lage in Gaza stockte Caritas international die Hilfen auf über eine Million Euro auf, davon 400.000 Euro aus einer Spende des Erzbistums Freiburg.
Aufgrund der humanitären Katastrophe in Gaza und der angespannten Lage in der Westbank werden weitere finanzielle Mittel dringend benötigt, weshalb Caritas international im Namen ihrer Partner zu weiteren Spenden aufruft.
Was konnte mit den Mitteln von Caritas international bisher bewirkt werden?
Solange es noch möglich war und die lokalen Märkte funktionierten, wurden Hilfen in Form von Mehrzweckgutscheinen ausbezahlt, sogenannten Multi-Purpose-Vouchern, dank derer sich Menschen in Not bei lokalen Händlern selbst versorgen konnten. Die Gutscheine wurden für die noch vorhandenen haltbaren Lebensmittel (Mehl, Reis u. ä.), Hygieneartikel, Haushaltswaren etc. eingelöst.
Nachdem die Vorräte im Handel vor Ort aufgebraucht waren und die ersten Grenzöffnungen in Rafah ermöglicht wurden, konnten Hilfskonvois mit Lieferungen von Decken und Matratzen sowie Zelten und Regenschutzplanen zu den Menschen im Gazastreifen gelangen. Außerdem konnten Essenspakete verteilt werden.
Die Hilfen unseres Partners CRS erreichten bisher über 98.000 Familien.
Wie steht Caritas international zu Hilfen, die per Flugzeug in den Gazastreifen gelangen?
Caritas international stellt sich klar gegen den Abwurf von Hilfsgütern aus Flugzeugen.
"Unkontrolliert abgeworfene Hilfsgüter sind die schlechteste Form der Hilfe. Sie stellen keineswegs sicher, dass die geschwächte Bevölkerung die lebenswichtige Unterstützung auch erhält und sind von daher ein Armutszeugnis", sagt Oliver Müller, Leiter von Caritas international. Er bezweifelt, dass diese dazu beiträgt, die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen zu lindern. "Abgesehen davon, dass es sich bei dem Abwurf von Hilfsgütern um Symbolpolitik handelt, führt diese dazu, dass unter der notleidenden Bevölkerung das Recht des Stärkeren regiert und keinesfalls gewährleistet ist, dass diese Hilfen besonders vom Hungertod gefährdete Menschen wie Kinder, Frauen, alte Menschen und Menschen mit Behinderung erreichen."
Aus Sicht von Caritas international ist deshalb eine sofortige Öffnung mehrerer Hilfskorridore in den Gaza-Streifen ohne Alternative.
Wie stellen Sie sicher, dass Spenden und Hilfsgüter nicht in die Hände der Hamas fallen?
In Gaza stellen wir durch die langjährige Zusammenarbeit mit unseren lokalen und sehr erfahrenen Partnern Missionaries of Charity und Catholic Relief Services (CRS) sicher, dass die Hilfen nicht in die falschen Hände geraten. Wir können dank der Erfahrung sowie der hohen Qualitätsansprüche unserer Partnerorganisationen sicherstellen, dass unsere Hilfen ausschließlich an die notleidende Zivilbevölkerung verteilt werden. Da unsere Partner schon lange in Gaza aktiv sind, verfügen sie über Listen wirklich hilfsbedürftiger Menschen, die sich zuvor registrieren müssen.
Um ein Beispiel zu nennen: Trotz der äußerst angespannten Lage führte unser Partner CRS im Zuge des Qualitätsmanagements eine Überprüfung durch, wie und wofür die verteilten Gutscheine genutzt wurden.
Wie kann die Caritas unter solchen Bedingungen "neutral" bleiben?
Als humanitäre Hilfsorganisation verpflichtet sich Caritas international den humanitären Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Unser Auftrag ist es Menschen in Not, gleich welcher Religion, Nationalität oder Herkunft Hilfe zu leisten.
Neutral zu sein, bedeutet nicht, den Entwicklungen gleichgültig gegenüberzustehen. Caritas international zeigt sich angesichts des Terror-Anschlags der Hamas auf israelische Zivilisten entsetzt. Unsere Gedanken sind bei den Menschen und Familien in Israel, die Angehörige verloren haben, Verletzte beklagen müssen oder um Menschen bangen, die von der Terrororganisation Hamas entführt worden sind. Gleichzeitig muss die Versorgung der bedürftigen Menschen in Gaza trotz der Kriegshandlungen sichergestellt werden. Caritas international setzt sich für Menschen in Not ein und sichert deren Überleben. Wir appellieren im Zuge der Verschärfung des Konflikts an alle Konfliktparteien das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Caritas international fordert deshalb alle Konfliktparteien zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts auf und ein sofortiges Ende der Gewalt in Israel, Gaza und der Westbank.
Kann Caritas international aktuell Hilfsgüter nach Gaza bringen und wie gelangen die Lieferungen dorthin?
Unsere Partner vor Ort können nach wie vor Hilfe leisten, unter extrem gefährlichen und äußerst schwierigen Bedingungen, und leider nicht in dem Umfang, wie wir wollten und könnten. CRS, eine unserer Partnerorganisationen, kann aktuell täglich ca. 100 LKW-Ladungen mit Hilfsgütern über die Grenzübergänge Karem Shalom und Erez West nach Gaza bringen, v. a. Nahrungsmittel, Hygieneartikel, aber auch Decken und Planen. Dieser Prozess ich langwierig und beschwerlich, aber es ist möglich.
Vollbeladene Fahrzeuge stehen bereit und die Logistik-Teams von CRS befinden sich in den Startlöchern, um mehr LKW-Ladungen reinzubringen, sobald es die allgemeine Situation wieder bzw. verstärkt zulässt. Caritas international muss mithelfen, weitere Vorbereitungen zu treffen und Hilfsgüter in großen Mengen bereitzustellen, damit bei Öffnung zusätzlicher Versorgungskorridore in den Gazastreifen mit maximaler Versorgung die Hungersnot beendet und Leben gerettet werden können.