Blühende Geschäfte
Caritas international: Frau Giesing, der Weltentwicklungsbericht der Vereinten Nationen sagt, dass die Verbreitung von Kleinwaffen in manchen Regionen das größte Entwicklungshindernis darstellt. Ist das auch ihr Eindruck?
Cornelia Giesing: Eine Zone, in der Caritas derzeit Nothilfe leistet, das Grenzgebiet zwischen Guinea Bissau und Südsenegal (Region Casamance), leidet an den Folgen eines seit Jahrzehnten andauernden Konfliktes, der vor 30 Jahren durch eine Rebellion mit dem Ziel der Unabhängigkeit der Region Casamance angestoßen wurde. Mittlerweile üben hier Militärs, Rebellen und andere bewaffnete Gruppen ihre Macht auf Kosten der Bevölkerung aus. Einige dieser Gruppen verdienen sich mit illegalen Geschäften ihr Geld, das heißt im Drogen- und Waffenhandel und durch den Verkauf von geschützten Ressourcen wie zum Beispiel Holz. Während der Casamance-Konflikt mit seiner langen Geschichte zum Thema öffentlichen und sogar wissenschaftlichen Interesses geworden ist, schaut man weniger auf die andere Seite der Grenze. Man sollte jedoch nicht außer Acht lassen, dass die Akteure in diesem Konflikt ihre Rückzugsgebiete in den Grenzgebieten der ebenfalls konfliktvollen Nachbarländer Gambia und Guinea-Bissau haben. Mit der kritischen Entwicklung in Guinea-Bissau nach dem Militärputsch im April 2012 verbessern sich die Chancen einer friedlichen Lösung dieses regionalen Konfliktes nur langsam.
Um auf das oben erwähnte Grenzgebiet zum Senegal zurückzukommen, sind dort seit einigen Jahren zahlreiche verstreute Waffendepots angelegt wurden, sogar in recht abgelegenen Ecken. Während man nur vermutet, dass dies auf Betreiben gewisser politischer Akteure erfolgt ist, kann man sicher sein, dass die darin gelagerten Waffen benutzt werden.
Und diese Waffen-Depots gefährden den Dorffrieden - und damit die gesamte Weiterentwicklung?
Ja, ganz konkret führt das dazu, dass keiner mehr etwas in diese Dörfer investieren will. Es wird auch nahezu unmöglich, den Bewohnern humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Die Situation gleicht einem kleinem Pulverfass, man weiß ja nie, wann die Stimmung kippt und muss damit rechnen, dass im Konfliktfall Waffen mit Todesfolge eingesetzt werden. Die Waffenbesitzer, viele von ihnen (unbezahlte) Militärs oder ehemalige Militärs stehlen ungehindert Vieh, rauben die Ernte, die andere gesät haben. Es ist ein Teufelskreis. Wenn es immer mehr Leuten gelingt, sich ihren Lebensunterhalt mit der Waffe in der Hand zu sichern, ist das natürlich eine fatale Entwicklung. Der Erfolgreiche wird zum Vorbild und findet immer mehr Nachahmer. Und wer immer eine Lösung für das Problem finden will, muss Alternativen anbieten, die nicht nur die aktiven "Täter" ins normale Leben zurückholen, sondern auch die potentiellen "Täter" und/oder "Opfer".
Wie wirkt sich eine solche Unsicherheitslage auf die Projektarbeit aus?
Ich höre von vielen unschönen Vorfällen, so dass man ungern in bestimmte Gebiete fährt, aus dem Gefühl reiner Ohnmacht. Gerade dort, wo am dringlichsten Hilfe und Unterstützung benötigt wird, wird es schwierig, lokale Partner zu finden, die der Situationen gewachsen sind, die vor Ort sind und da auch bleiben. Bestimmte neuere Instrumente, die in der humanitären Hilfe mehr und mehr eingesetzt werden, wie zum Beispiel "Cash for Work" (Geld gegen Arbeit) können hier nur unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen funktionieren. Banken sind ja nicht in unmittelbarer Nähe; das heißt, die Personen, die an den Tagen der Auszahlung das Bargeld bis zu den Projektstandorten transportieren müssen, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Arbeiten ihren Verdienst erhalten können, müssen unter Umständen beschützt werden.
Es gibt doch immer wieder Bemühungen, diese Waffen einzusammeln. Funktionieren die nicht?
Wenn man weiss, dass ein großer Teil der Instrumente, die zur Ernährungssicherung dienen, wie Buschmesser, Hacken oder Flinten, auch als Waffen eingesetzt werden, ist man eher geneigt, die Benutzer dieser Instrumente über die für sie abträglichen Folgen eines gewalttätigen Gebrauchs aufzuklären, statt ihnen diese Instrumente wegzunehmen.
Was tut Caritas international gegen diese Entwicklung?
Das Radio ist ein populäres und Grenzen überschreitendes Medium. Es wird von unseren Partnern insbesondere genutzt, um Jugendliche in Stadt und Land zu erreichen. Ohne Ausbildung und ohne berufliche Perspektiven sehnen sich viele von ihnen, genau wie ihre Altersgenossen in allen Ländern der Welt, nach sozialem Ansehen durch Teilhabe am Konsum. Das Gefühl, von vorne herein keine Erfolgschance zu haben, vom modernen Geschehen auf ungerechte Weise ausgegrenzt zu bleiben, wird schnell zum Nährboden für soziale Disintegration oder Selbstausgrenzung. Manchen in ihren Erwartungen Enttäuschten ist jedes Mittel recht, um ihre Träume zu verwirklichen. Die Händler mit Waffen und Drogen sowie skrupellose Politiker müssen sie nur noch einsammeln, um ihre Gefolgschaften zu vermehren.Caritas versucht in Zusammenarbeit mit Radio Sol Mansi in Guinea-Bissau ein Programm zu unterstützen, das junge Menschen einlädt, über die gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung nachzudenken und selbst Alternativen zu finden.
Cornelia Giesing ist Ethnologin und hat zwischen 1988 bis 2000 in Guine Bissau am Aubau der audio-visuellen Archive der historischen Abteilung und der Abteilung für Geschlechterdemokratie am nationalen Forschungsinstitut (INEP) in Bissau mitgearbeitet. Anschließend war sie für internationale NROs in Senegal und der Region Westafrika (Goree Institute, Enda TM) tätig. Sie ist seit 2011 Leiterin des Caritas international Regionalbüros in Dakar (Sénégal).
April 2013