Die chronische Krise im Sahel
Die chronische Krise im Sahel

Im Herbst 2012 fällt im Sahel der langersehnte Regen. Das ist wichtig, denn im Juli haben die Bauern ihre Saat auf die Felder gebracht. Ohne Regen wären die Setzlinge auf den Feldern verdorrt. So wie schon im vergangenen Jahr, als in Westafrika vielerorts nicht geerntet werden konnte, weil es zur Zeit der Aussaat zwei Monate lang nicht geregnet hatte. Zurzeit aber fällt so viel Regen auf die Äcker, dass die Aussichten für die nächste Ernte allen Experten zufolge gut bis sehr gut sind. Frühwarnsysteme sehen eine Entschärfung der Nahrungsmittelkrise voraus, die durch die ausgebliebene Ernte des vergangenen Jahres entstanden war [Siehe auch: www.fews.net] .
Werden die Menschen in Westafrika, die in den vergangenen Monaten aufgrund der stark gestiegenen Lebensmittelpreise auf manche Mahlzeit verzichten mussten, nun also bald wieder genug zu essen haben? So einfach ist es nicht. Denn die Zusammenhänge sind komplizierter als die Gleichung "kein Regen = Dürre = Hunger = Hungersnot" zu suggerieren scheint. Der Reihe nach.
Regen und Dürre: Es gibt viele Hinweise darauf, dass der Klimawandel für den Sahel generell positive Auswirkungen haben kann. Die Uni Köln etwa stellt fest, dass im Durchschnitt in Westafrika mehr Niederschlag fällt als früher und sich dieser Trend in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten fortsetzen wird. [Siehe auch: Institut für Geophysik und Metereologie / Uni Köln]
Manche Beobachter sprechen gar davon, dass die Sahara ergrüne. Problematisch ist demnach weniger die absolute Menge als die Verteilung des Regens. Der Regen fällt zum einen weniger berechenbar als früher. Das führte im Sommer 2011 dazu, dass die Setzlinge nach der Aussaat verdorrten, weil die Regenperiode später einsetzte als für gewöhnlich, und die Bauern kein Geld für eine zweite Aussaat hatten. Die Aussaat wird mit der Verschiebung der Regenperioden immer mehr zur Lotterie. Zum anderen fällt der Regen, wenn er fällt, oft in solchen Mengen, dass die Böden das Wasser nicht aufnehmen können und ganze Landstriche in den Fluten ertrinken wie im August 2012 in Niger. Trotz steigender Regenmengen kann es also zu schlechten Ernten kommen. Von einer Dürre zu reden ist angesichts der steigenden Regenmengen allerdings irreführend.
Hunger und Armut: In den vergangenen Monaten mussten viele Menschen in Westafrika hungern. Statt drei Mahlzeiten am Tag leisteten sich viele Westafrikaner nur noch ein oder zwei Essen pro Tag. Ursache dafür war aber nicht die Menge an Lebensmitteln, denn dank Importen aus der Region und vom Weltmarkt waren die lokalen Märkte gut gefüllt. Das eigentliche Problem ist nicht die Menge, sondern der Zugang zur Nahrung. Das Essen ist für zu viele Menschen im Sahel viel zu teuer. Das ist aber weniger auf eine schlechte Ernte oder gar eine Dürre zurückzuführen, sondern auf die chronische Armut in Westafrika. Laut FAO geben die Ärmsten 60-80% ihres spärlichen Einkommens für Nahrungsmittel aus. Arme Menschen haben kein Geld, um sich ausreichend Nahrung auf dem Markt zu kaufen, um den Kindern Kleidung zu kaufen, um die Kinder zur Schule zu schicken oder vom Gesundheitsdienst verschriebene Medikamente in der Apotheke kaufen zu können.
Krieg und Hungersnot: Erst der Mensch lässt Hunger- und Lebensmittelkrisen zur Katastrophe werden. Das ist eine Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, die besonders gut in den Jahren 2011 und 2012 in Ost- und Westafrika zu beobachten war. Die Hungersnot in Ostafrika wäre 2011 nicht ausgebrochen, wenn in Somalia nicht Bürgerkrieg geherrscht hätte. Und auch im Jahr 2012 litten die Menschen vor allem dort, wo der Krieg im Norden Malis die Lage für zehntausende von Flüchtlingen verschärfte. Ohne solche verschärfenden externen Faktoren ist dank exakterer Frühwarnsysteme (www.fews.net) und besserer Vorsorge gegen Trockenperioden (http://www.caritas-international.de/86358.html) die Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch einer Hungersnot in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Das ist ein Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen von Hilfsorganisationen und einzelner nationaler Regierungen.
Spekulation mit Nahrung: Neben Ernteausfällen in großen Getreideländern, geringen weltweiten Lagerbeständen, dem erhöhten Anbau von Getreide für Agrotreibstoffe und auch den sich ändernden Konsumgewohnheiten, ist die Zunahme von Spekulationen auf Agrarrohstoffe in den Finanzmärkten einer der Gründe für steigende Lebensmittelpreise. Nach der durch die enormen Preissteigerungen im Jahr 2007/2008 versursachten Lebensmittelkrise hat die OECD festgestellt, dass Spekulationen auf Getreidemärkten vor allem kurzfristige Preiseffekte haben können und für die Preisschwankungen von Getreide ausschlaggebend sein können. Ethisch gesehen ist das Spekulieren auf Grundnahrungsmittel nicht zu vertreten. Worüber die einen jubeln - hohe Gewinne durch Preissteigerungen - kann für kleinbäuerliche Familien in Afrika das Todesurteil sein. Eine strenge Regulierung der Agrarrohstoffmärkte ist längst überfällig
Fazit? Kann nun also Entwarnung gegeben werden für die Nahrungsmittelkrise in Westafrika? Nein, denn zum einen ändert auch der jetzt fallende Regen an dem chronisch-strukturellen Armutsproblem nichts. Zum anderen herrscht im Norden Malis noch immer Krieg, der sich jederzeit verschärfend auf die Armutskrise auswirken kann. Hilfsorganisationen wie Caritas international sind also weiterhin in vielerlei Hinsicht gefordert: 1. Bürgerkriegsflüchtlinge müssen unter schwierigen Bedingungen schnell versorgt werden, 2. Der Kampf gegen die chronische Armutskrise muss verstärkt werden, 3. Die Krisenvorsorge gilt es weiter zu verbessern und 4. Über die Zusammenhänge zwischen Hunger und Nahrungsspekulation aufzuklären.
Der Kampf gegen den Hunger ist eine Daueraufgabe. Kurzfristig ist dieser Kampf nicht zu gewinnen.
Oktober 2012