Die Geschichte einer Flucht
Während Asnaa ihre Geschichte erzählt, herrscht um sie herum ein angenehmes, geschäftiges Treiben. Wir sitzen in der großen Gemeinschaftsküche der Caritas-Unterkunft Neos Kosmos. 42 Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern wohnen, kochen und leben hier zusammen. Doch wenn man den Worten von Asnaa lauscht, dann rückt all das in den Hintergrund.
Zu Fuß in die Türkei - mit 12 Kindern
Familienfoto: Asnaa mit sieben ihrer 13 Kinder. Der älteste Sohn ist bereits in Deutschland. Asnaa wünscht sich, dass die Familie bald wieder vereint ist.Foto: Philipp Spalek / Caritas international
Asnaa kommt aus der Nähe von Aleppo und stammt aus einfachen Verhältnissen. "Wir sind eine Bauernfamilie, mein ganzes Leben habe ich mit meinen Händen gearbeitet. Wir waren so glücklich über das Leben, das wir geführt haben". Doch dieses Leben gehört der Vergangenheit an. Als die Kämpfe rund um Aleppo immer stärker wurden und die Einschläge sich dem Haus der Familie näherten, entschloss sie sich zu gehen. Am 13. Oktober 2015 packte sie ein paar Sachen zusammen und nahm ihre 12 Kinder um in Richtung Türkei zu fliehen. Ihr Mann und ihr ältester Sohn waren da bereits in Deutschland - sie waren vorgegangen um die Familie dann nachholen zu können. Zumindest war das der Plan. "Es schien uns die einzige Möglichkeit. Wir konnten doch nicht mit den Kindern über das Meer".
Asnaa führte ihre 12 Kinder 4 Tage zu Fuß auf schmalen Wegen durch die Berge bevor sie es über die Grenze in die Türkei schaffte. In Sicherheit, wie sie dachte! Ihr Mann in Deutschland hatte in der Zwischenzeit alle nötigen Dokumente für eine Familienzusammenführung zusammen und den Antrag gestellt. "Ich bin zur deutschen Botschaft gegangen, sie haben alle Dokumente akzeptiert und ich gab ihnen unsere Pässe", erzählt Asnaa. Man sagte ihr, dass sie in etwa 10 Tagen die Ausweise zurückerhalten werde und dann mit ihren Kindern zu ihrem Mann und ihrem ältesten Sohn nach Deutschland fliegen könne. Zu diesem Zeitpunkt dachte Asnaa, sie hätten es geschafft.
"Ich hätte sie niemals zurücklassen können"
Asnaa hat ihre 12 Kinder über das Mittelmeer bis nach Europa gebracht: "Niemand, der das nicht selber erlebt hat kann nachvollziehen, welche Angst ich hatte".Foto: Philipp Spalek / Caritas international
Sechs Wochen später bricht für sie die Welt erneut zusammen: Die Behörden in Deutschland erklären ihrem Mann, dass sie nur 8 ihrer 12 Kinder mitnehmen könne. Denn vier ihrer Kinder sind nicht ihre leiblichen sondern die Kinder des Ehemanns aus erster Ehe. "Sie sagten mir, ich müsse eine DNA-Analyse vorlegen um zu beweisen, dass es die Kinder meines Mannes sind. Wie hätte ich das machen und bezahlen sollen? Niemals hätte ich die vier zurücklassen können. Ich habe sie großgezogen, es sind genauso meine Kinder wie die anderen auch."
Asnaas Antrag wurde zurückgezogen. Plötzlich blieb ihr nur noch eine Möglichkeit um nach Europa zu gelangen: "Ich dachte immer, dass ich niemals so ein Gummiboot besteigen würde, schon gar nicht mit den Kindern. Die Überfahrt nach Chios, mit 52 Menschen auf einem engen Boot, Sturm und Wellen - noch nie hatte ich so große Angst in meinem Leben. Dieses Meer sah für mich aus wie der Tod, aber wir sind ihm entkommen".
Tage, die ein Leben verändern
Alle Kinder besuchen den Schulunterricht in der Caritas-Unterkunft Neos Kosmos in Athen. Für die meisten der 12 Geschwister ist es das erste Mal, dass sie zur Schule gehen können.Foto: Philipp Spalek / Caritas international
Asnaa und ihre Kinder haben es nach Griechenland geschafft. Am 25. Februar 2016 kam sie nach Athen, kurz darauf ins Caritas-Zentrum Neos-Kosmos, genauer gesagt am 27. März 2016. "Die Daten kenn ich alle auswendig, denn hinter jedem Datum steht eine Geschichte. Und jede dieser Geschichten hat unser Leben verändert."
Asnaa und ihre Kinder dürfen nun doch bald nach Deutschland, legal. Das genaue Datum kennt sie noch nicht, aber es wird ihr Leben wieder verändern. "Ich werde weinen, wenn ich meine Freunde hier im Neos Kosmos zurücklassen werde. Wenn du irgendwo bist, wo du den Menschen nicht egal bist, wo man dich unterstützt, versorgt und dich wertschätzt - dann wird es dein Zuhause. Aber auch wenn ich mich ein bisschen vor dem Ungewissen fürchte - ich freue mich auf Deutschland. Meine Kinder werden da, wenn Gott will, eine gute Zukunft haben."
Kim Nicolai Kerkhof im Mai 2017