Flüchtlinge im Niemandsland
Ankunft syrischer Flüchtlinge im Libanon Alexander Bühler
Sie schlafen auf schlichten Matten um den Gasofen herum, der die einzige Wärmequelle ist. Hier im Bekaa-Tal, im Libanon, sinken die Temperaturen nachts auf einstellige Werte, es ist noch nicht lange her, dass Frost herrschte.
Kilometerweit findet sich keine weitere gemauerte menschliche Behausung. In diesem elf Kilometer langen Grenzstreifen, dem Niemandsland zwischen Libanon und Syrien, sind nur sporadisch Menschen anzutreffen. Es sind weitere Flüchtlinge oder syrische Tagelöhner, die in Gewächshäusern arbeiten. Jeden Tag werden sie immer wieder daran erinnert, warum sie Syrien verlassen haben: Zur Mittagszeit kann man von hier aus die Rauchsäulen sehen, die vom Bombardement der knapp ein Kilometer entfernten syrischen Stadt Quseir stammen. Die syrischen Sicherheitskräfte versuchen systematisch die Rebellen der sogenannten Freien Syrischen Armee zu vernichten und den zivilen Widerstand im eigenen Land zu unterdrücken.
Seit Monaten sind nur noch die Berichte von unsäglichem Leid zu hören, von Hinrichtungen, Folter, Mord. Zu Tausenden verlassen die Syrer ihr Land und flüchten in die Nachbarländer - gerade seit dem Bombardement von Homs, der zweitgrößten Stadt des Landes. Laut Najla Chahda, der Koordinatorin der Caritas-Flüchtlingshilfe im Libanon, begann die Ausreisewelle schon vor einem Jahr. Doch seit einem Monat strömen mehr und mehr Menschen über die Grenze in den Libanon. "Teilweise sind in einer Woche 2.000 Flüchtlinge angekommen!" sagt sie verzweifelt. "Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, der UNHCR, leben nur 9.000 geflohene Syrer in Libanon, doch in Wirklichkeit sind es wahrscheinlich 26.000".
Die meisten haben Angst, sich registrieren zu lassen und damit staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie fürchten Racheakte des Regimes an ihren im Land verbliebenen Verwandten oder von pro-syrischen Kräften im Zedernstaat verfolgt zu werden. Dazu kommt, dass der Libanon die Flüchtlinge im strukturschwachen Norden konzentrieren möchte. Nur rund um die grenznahe Stadt Tripoli gewährt er Hilfe.
Die Caritas ist schon seit längerer Zeit in jenem Landesteil aktiv, sagt Chahda. "Wir haben untersucht, was die Flüchtlinge dort am meisten brauchen, und haben Nahrungsmittel, Kleidungsstücke und Unterwäsche für Frauen verteilt." fügt Chahda hinzu. Denn es sind gerade Frauen, die mit ihren Kindern versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Die 53jährige versucht rund 4.000 Flüchtlingen im Nordlibanon so gut wie möglich beizustehen, doch die Schwierigkeiten sind enorm. Schon eine 25 Quadratmeter große Wohnung kostet 200 US-Dollar - Geld, das die Flüchtlinge nicht zahlen können, weil sie alles in Syrien zurücklassen mussten.
Im Gefängnis ist es leichter zu sterben, als am Leben zu bleiben
Die 45-jährige Umm Mira sitzt mit einem guten Dutzend Frauen und Kinder, ihren Verwandten, um sich herum in ihrem "Wohnzimmer", einem etwa 25 Quadratmeter großen Raum. An einer Wand stapeln sich Decken, nachts wird es auf 1.300 Metern über dem Meeresspiegel empfindlich kalt. Ein kleines Städtchen im Nordosten des Libanon ist ihr neues Zuhause. Wie die meisten anderen Flüchtlinge kommt sie aus Homs, aus dem Stadtteil Bab Dreib. Vor ihr steht das Essen, eine Schale Reis, Bohnen, etwas Maissuppe. "So was hätte ich früher nie gegessen;" sagt sie. Früher, das heißt vor der Flucht. Denn bevor der Aufstand in Homs begann, hatte sie ein komfortables Leben.
Umm Mira in ihrem "Wohnzimmer"Alexander Bühler
"Wir aßen immer Gemüse dazu, ein bisschen Fleisch" erklärt sie. "Unsere Familie wohnte in zwei Häusern mit mehreren Stockwerken, jeder hatte ein Zimmer für sich." Doch nun lebt sie mit ihrer Familie in einem einzigen, insgesamt müssen sich 32 Menschen auf drei Zimmer verteilen. Die Lage in Homs wurde seit März letzten Jahres immer schwieriger, sagt sie. Denn sie, die sunnitischen Muslime, lebten in einem Stadtteil, der von Aleviten dominiert wurde. Immer wieder gab es Schießereien, immer wieder wurde jemand von ihrer Familie festgenommen. Schließlich nahm die syrische Staatssicherheit ihren Mann, einen einfachen Bauarbeiter, fest. Sie folterten ihn, erzählt er. Er musste sich ausziehen, dann folterten sie ihn mit Stromstößen. "Im Gefängnis ist es leichter zu sterben, als am Leben zu bleiben" sagt er nüchtern.
Auf die Frage, warum die Sicherheitskräfte ihn festnahmen und folterten, zuckt er nur mit den Achseln: "Sie wussten, dass ich gegen Assad bin." Das genügte als Grund. Zudem sollte er noch seine Nachbarn bespitzeln und Oppositionelle ans Messer liefern - im wahrsten Sinne des Wortes. Um ihn freizubekommen, bestach seine Frau einige Beamte und musste noch einmal 50.000 syrische Pfund (zirka 650 Euro) hinlegen, um ihn freizubekommen. "Elf Tage saß er im Gefängnis ein", empört sie sich, "in dieser Zeit hat er elf Pfund Gewicht verloren, denn das einzige tägliche Essen war ein Laib Brot für acht Personen." Doch selbst dann blieb Umm Miras Familie. Erst als der Dauerbeschuss anfing, als ihre Häuser von den Mörsergranaten der syrischen Armee zerstört wurden, waren sie bereit, alles hinter sich zu lassen und ihr Leben zu retten. "Mit uns zusammen war ein etwa neunjähriger Junge, ich sah noch, wie er von der Kugel eines Scharfschützen getroffen wurde." Umm Mira weiß nicht, ob er überlebt hat, sie hatte genug damit zu tun, das Überleben der eigenen Familie zu sichern. Nun ist sie auf Spenden aus dem Dorf angewiesen, in dem sie lebt. Das Dach über dem Kopf wird ihr glücklicherweise von einer libanesischen Familie kostenlos zur Verfügung gestellt, das Essen stammt von der Gemeindeverwaltung.
Tropfen auf den heißen Stein
Der Vizebürgermeister bestätigt, dass viele Libanesen aus seinem Dorf den Flüchtlingen helfen wollen. "Momentan beherbergt unsere Stadt 250 syrische Familien, etwa 1.500 Menschen." sagt er. "Doch es kommen immer mehr, und wir haben nicht genügend Gebäude zur Verfügung, in denen wir sie unterbringen können."
Syrische Flüchtlinge und die Sozialarbeiterin BernadetteAlexander Bühler
Je weiter die Lage im 30 Kilometer entfernten Syrien eskaliert, desto mehr Flüchtlinge strömen in die 37.000 -Einwohner Stadt. Zeitweise flüchteten 2.000 Familien innerhalb einer Stunde aus Homs an die syrisch-libanesische Grenze. Die Situation wird immer schwieriger, sagt Bernadette Hajj- Moussa. Sie ist die zuständige Caritas-Sozialarbeiterin für dieses Gebiet. Die Caritas, die als einzige Hilfsorganisation die Flüchtlinge im Bekaa-Tal unterstützt, versucht alleine 4.000 Flüchtlingen zu helfen. Bisher haben sie immerhin 200 Lebensmittel-Pakete und 500 Decken verteilt. "Ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Bernadette trotzig. "Aber immerhin, wir fangen gerade erst richtig an."
Die Flüchtlingshilfe der Caritas ist angelaufen, noch müssen Bernadette und ihre Kollegen herausfinden, was die Flüchtlinge genau brauchen. "Für den Anfang haben wir verteilt, was wir im Lager hatten", sagt Najla Chahda, die Koordinatorin der Caritas-Flüchtlingshilfe im Libanon. Doch da angesichts des harten Vorgehens der syrischen Regierung noch viel mehr Flüchtlinge kommen werden, bereitet sie sich darauf vor, viel mehr Mittel einsetzen zu müssen. "Ohne die Unterstützung der Caritas Deutschland hätten wir die bisherige Hilfe nicht leisten können!" sagt sie dankbar.
April 2012