„Kommunale Saatgutbanken sind ein Schlüssel zur Klimaanpassung“
Wer stellt auf welcher Grundlage fest, dass die Ernährungslage nicht mehr gesichert ist?
Die Klimadaten sind hier ein wichtiger Anhaltspunkt, die Verteilung und die Menge der Niederschläge. Wenn sich das Wetterphänomen El Nino ankündigt, wird mit rund 40 prozentiger Treffsicherheit vorhergesagt, wie sich die Lage entwickeln wird. Wettervorhersagen sind Bestandteil des Warnsystems, und die Bauern nehmen das sehr ernst. Die Vorhersagen sind für sie extrem wichtig, um zu entscheiden, ob und wann sie die Felder bestellen.
In der Regel haben die Kommunen keine Vorratsspeicher, weder in Guatemala noch in El Salvador. Die Getreidereserven liegen bei den privaten Händlern - sie bringen dann Getreide auf den Markt. Die Preispolitik ist weitgehend dem freien Markt überlassen, daher kommt es auch zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise, wenn die Ernten knapp sind. Gleichzeitig ist das Importgetreide in der Regel billiger als die lokale Produktion, daher sind Bauernfamilien, die ihre Ernten unter Produktionspreis verkaufen müssen, weil sie sich nicht ausschließlich von Mais ernähren können, oft die Benachteiligten.
Wie können wir uns die Dürreperioden in den Ländern Guatemala und El Salvador vorstellen?
Normalerweise regnet es insgesamt sechs Monate. Wenn sich jedoch die Trockenzeit in die Regenzeit hinein verlängert, dann sprechen wir von Dürre. Es gibt zwei Anbauphasen. Die erste, genannt "Primera", dauert von Mai bis Ende Juli. Wenn die erste Periode ausfällt, haben die Bauern zu wenig Mais, dann säen sie nochmals in der zweiten Regenzeit. Doch das setzt voraus, dass sie genügend Reserven haben, um den Ausfall der ersten Regenzeit überwinden zu können.
Wie wirkt sich die Dürre auf die Landwirtschaft und auf die Ernährungslage der Bevölkerung langfristig aus? Wer ist betroffen?
Rund 70 Prozent der Menschen leben in Guatemala direkt von der Landwirtschaft. Sie alle sind von einer Dürre betroffen. Das Ausmaß hängt aber ganz wesentlich von der Betriebsgröße ab und auch von der Lage des Betriebes. Mais, das wichtigste Grundnahrungsmittel, wird primär von Familienbetrieben und mittleren Betrieben angebaut, einen industriellen Anbau gibt es kaum. Doch in manchen Regionen wird aufgrund der Grundstücksgröße sehr viel Zuckerrohr und inzwischen auch Palmöl angebaut.
Die Resilienz einer Familie hängt von der Fläche ihrer Äcker abhängt. Wenn eine Person nur sehr kleine Felder für die Subsistenzwirtschaft und den reinen Eigenbedarf an Nahrung hat, so kann sie keine Überschüsse verkaufen. Diese sehr kleinen Haushalte sind in El Salvador besonders häufig anzutreffen. Sie sind besonders verwundbar, sie können schon bei einer einzigen Dürre alles verlieren. Insbesondere, wenn sie sich beim Anbau auf eine einzige Nahrungspflanze konzentrieren, etwa Mais oder Bohnen. Dann erleiden sie oft komplette Ernteverluste und haben überhaupt kein Einkommen.
In der Trockenzone Guatemalas, dem Corredor seco, leben Teile der ärmsten Bevölkerung, und hier wirken sich schon jetzt Dürreperioden und Extremregen mit augenscheinlich zunehmender Häufigkeit direkt auf die Lebenssituation der Bewohner/innen aus. Die Bauern können bei zunehmend knapp ausfallenden Ernten nichts mehr verkaufen. Dann fehlen ihnen aber finanzielle Mittel für den Kauf notwendiger Dinge des täglichen Bedarfs. Hinzu kommen weitere Effekte: Einige Leute ziehen in andere Regionen, um hier als Tagelöhner etwas Geld zu verdienen, und so zum Familieneinkommen beizutragen.
Um die zunehmende Auswanderung aus dem Trockengürtel Guatemalas besser zu verstehen, befragte das Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) im Rahmen einer Studie Familien aus Bezirken im Trockenkorridor zu den Gründen, die sie dazu bringen, die Region zu verlassen. Der wichtigste "Push-Faktor" war nicht Gewalt, sondern Dürre. Denn die Folgen der Dürre auf dem Land sind: kein Essen, kein Geld und keine Arbeit. Die Ergebnisse der Studie deuten auf einen klaren Zusammenhang zwischen Klimaveränderung, Ernährungsunsicherheit und Migration hin.
Was ist da Ihre Erfahrung: Verlassen Menschen wegen der Dürre die Region oder gar das Land?
Vor allem die Binnenmigration hat damit etwas zu tun. Die Menschen wandern nicht gleich Richtung Norden, das ist für die Mehrheit viel zu teuer. Viele migrieren daher innerhalb ihres Landes für mehrere Monate oder aber dauerhaft in die Städte, die stark wachsen. Die Menschen arbeiten hier im Dienstleistungssektor oder als Gärtner - oder hoffen zumindest, hierin eine Arbeit zu finden. Es gibt ja den Begriff Klimamigrant, den ich schwierig finde. Doch teilweise trifft es den Sachverhalt schon, die Menschen migrieren innerhalb ihres Landes, wenn sie nichts mehr zu essen haben.
Was passiert mit dem Land, wenn es brach liegt?
Oft bleiben Frauen und Kinder zurück und bewirtschaften kleine Parzellen. Manche Bauern bepflanzen selber eine kleine Parzelle und gehen dennoch in der Region auf Arbeitssuche. Wer mehrmals nicht angebaut hat, kommt vermutlich gar nicht mehr zurück, denn ein Neustart auf den verlassenen Feldern erfordert zusätzliche Reserven und Energie.
2018 fehlte in einigen Regionen der Niederschlag in der ersten Anbauphase. Daraufhin hat der Staat einen Bonus verteilt, damit die Bauern sich Nahrung kaufen konnten. Damit konnten sie dann die klimatisch unsichere erste Anbauphase überbrücken und in der zweiten Regenzeit Mais und Bohnen aussäen. Ein Problem ist, dass diese Maßnahmen auch für politische Einflussnahme ausgenutzt werden, das konnte man dieses Jahr bei den Wahlen beobachten. Der Bonus wurde zurückgehalten und erst ganz knapp vor der Wahl verteilt, um so möglichst direkt Einfluss zu üben.
Was bedeutet nun der Klimawandel für die kleinbäuerlichen Betriebe konkret - und welche eigenen Ressourcen können sie mobilisieren, um sich anzupassen?
Früher hat der Anbau von Mais als einzige Pflanze vergleichsweise gut funktioniert. Gerade aufgrund des spürbaren Klimawandels müssen sich die Menschen von Monokulturen wie Mais verabschieden und ihren Anbau diversifizieren. Ein zentraler Punkt ist das Saatgut.
Abgesehen von diesem Mais gibt es eine große Vielfalt an lokalen Sorten, die vergleichsweise gute Erträge liefern, aber die kaum mehr auf dem Markt oder bei den Bauern im Umlauf sind. Diese Sorten sind vor allem an die jeweiligen Böden und klimatischen und agrarökologischen Besonderheiten einer Kleinregion angepasst - Höhenlage, Niederschlagsverteilung und Bodenqualität sind wichtige Parameter. Leider nimmt dieses Saatgut stark ab, dabei wäre es wichtig, auf diese genetische Vielfalt zurückgreifen zu können, denn viele dieser Sorten weisen Resistenzen etwa gegen Schädlinge auf und brauchen keine Pestizide. Andere kommen mit Dürreperioden besser zurecht.
Leider fand ja ein Verdrängungsprozess dieser genetischen Vielfalt über viele Jahre statt, und auch das Wissen, mit dieser Vielfalt entsprechend zu wirtschaften. Wie kann die Haltung der Bauern über diesen Prozess, in dem sie ja auch Akteure sind, beschrieben werden?
Kleinere Betriebe von vielleicht zehn bis 15 Hektar müssen immer mal wieder auf Chemikalien zurückgreifen, die ganz kleinen Betriebe können sich das nicht leisten. Doch für die Schädlingsbekämpfung setzen auch Kleinbauern gelegentlich Pestizide ein. Diejenigen mit den kleinsten Feldern können sich auch das nicht leisten.
Wenn es um die Anpassung des Nahrungsanbaus an den Klimawandel geht, fällt oft das Stichwort verbessertes Saatgut. Wie wird dieses heikle Thema in den Caritas Projekten in El Salvador und Guatemala gehandhabt? Die Agrarindustrie ist hier bekanntlich oft schnell zur Hand mit Saatgut- und Kreditangeboten, die auf Dauer aber teuer werden können.
Es gibt sowohl zertifiziertes Saatgut von großen Agrarunternehmen als auch Saatgut, das selber nachgezogen und ausgebracht wird. Einige Bauern stecken viel Aufwand in die Selektion besonders guten Saatguts - das ist dann nicht zertifiziert, hat aber eine gute Qualität und wird unter den Bauern gehandelt, also verkauft und erworben. Zwar ist die Keimungsrate niedriger als bei dem zertifizierten Saatgut, doch die Pflanzen sind insgesamt recht widerstandfähig und kräftig. Vor allem Bauern mit sehr kleinen Feldern und wenig Ressourcen halten von ihrer eigenen Ernte Saatgut zurück, ohne es auf dem lokalen Markt zu handeln oder zu selektieren, und dieses Saatgut ist tatsächlich wenig ergiebig.
Wir haben Saatgutbanken gebildet, die auf dem Solidaritätsprinzip beruhen. Ich bringe als Bauer oder Bäuerin einen Teil meiner Ernte als Saatgut in diese Bank, das sind gut temperierte trockene Speicherräume. Wenn ein Landwirt Saatgut benötigt, kann er in der Saatgutbank eine entsprechende Menge als Leihgabe bekommen. Die Rückzahlung erfolgt in einer leicht erhöhten Menge. Dieses System beinhaltet einen Versicherungsaspekt, denn so kann jeder Bauer bei Bedarf auf diese kommunalen Saatgutbanken zurückzugreifen. Ein weiterer Vorteil ist die professionelle Lagerung, frei von Feuchtigkeit und geschützt vor Schädlingen wie Mäusen und Insekten. Zudem kommt es zu einem Genaustausch des Saatguts. Die Überschüsse an Samen können an weitere Bauern verkauft werden. Beobachtung, Erfahrungssammeln, Selektion von Saatgut, Qualitätssicherung - das alles kommt hier zusammen.
Die Anpassung müsste aber auch national gedacht werden. Zum einen müsste schnellstens gegen die Abholzung und gegen Waldbrände vorgegangen werden. Der Holzeinschlag dient teilweise dem industriellen Anbau von Ölpalmen in Monokultur, die für die Ernährung der Menschen keinen Vorteil hat. Ein wichtiger Schritt, der aktuell diskutiert wird, dreht sich um den Kaffeeanbau. Der könnte mit dem Klimawandel in höhere Lagen verschoben werden, das ist allerdings eine große Investition, das können sich die Bauern kaum leisten.
Wie genau unterstützt die Caritas den Prozess der Anpassung an den Klimawandel mit dem gleichzeitigen Ziel, die Ernährung zu sichern?
Ohne Regen kann nichts wachsen, es gibt also immer auch Grenzen. Wir motivieren dazu, den Anbau zu diversifizieren. Wir pflanzen verschiedene Bäume, um den Humus wieder aufzubauen. Mehr Bodendeckung und Schutz vor Hitze sind zentral, um die Feuchtigkeit im Boden zu halten. Zudem werden kleine Wasserreservoirs mit Plastikfolien angelegt, um in der ersten Periode die Pflänzchen zu bewässern und vor Trockenheit zu schützen.
Zudem testen wir neue Anbaumethoden. Bei der Ernährungsberatung werden in Kochkursen bisher kaum genutzte einheimische Gemüsearten verwendet, die lange Zeit nicht mehr genutzt wurden. Die Zubereitung ist nicht selbstverständlich, auch hier geht es um Wissensvermittlung. Manches grüne Gemüse kann getrocknet werden. So kommen vitaminreiche Wildpflanzen zum Speiseplan hinzu.
Und wir organisieren landwirtschaftliche Trainings, in denen wir dieses Wissen vermitteln. Die Leute sind begeistert und experimentieren mit den Wildgemüsearten. Einige haben anschließend im Kleinhandel ganz neue Produkte auf dem Markt verkauft. Eine weitere Idee war, kleine Fische in diesen Plastikzisternen und Bewässerungssystemen zu halten. Das ist schwierig. Aber wichtig ist, dass die Leute selber Dinge ausprobieren.
Ziel all dieser Unterstützungsangebote ist am Ende, die Widerstandsfähigkeit der Bauern zu stärken. Doch wie viele Dürren in Folge können die Bauern verkraften, und wo hat das Konzept der Stärkung der Resilienz seine Grenzen?
Wenn es zwei Dürren in Folge gibt, haben die Bauern keine Chance, dann fehlen ihnen die Reserven. Zwei Dürren können sich nicht aus eigener Kraft überbrücken.
Wir arbeiten mit Partnern zusammen, die Experten in landwirtschaftlichen Techniken sind. Es gibt einen länderübergreifenden Austausch über die verschiedenen Strategien, ein gegenseitiges Lernen, das auch dazu motiviert, die eigene Strategie zu überprüfen oder anzupassen und neue Ideen zu entwickeln. Zudem ist das Wissen der Bauern für unsere Arbeit zentral. Sie sind hier nicht Hilfsempfänger, sondern sie sind aktiv an der Erprobung neuer Methoden beteiligt, die aus ihrem konkreten Betrieb mit den gegebenen Mitteln erwachsen und dort funktionieren müssen.
Interview: Martina Backes, Juli 2019