Pachamama darf nicht brennen
Ein Bauer präsentiert eine der geernteten WassermelonenFoto: Caritas international / Wilfredo Limachi
Im bolivianischen Amazonasgebiet sind sie der Stolz ganzer Dörfer. Wassermelonen. Groß wie Medizinbälle. Keine aus der Gattung der überzüchteten Gewächshaus-Pflanzen, keine Discounter-Früchte, nichtssagend in Aussehen und Aroma und mehlig in der Konsistenz. Eben richtige Wassermelonen. Bei jedem Besuch, jedem Fest werden sie aus dem Dschungel geholt, fachmännisch mit der Machete zerlegt und verteilt: An Fremde, an Einheimische, an Groß, an Klein, selbst die Tiere bekommen etwas ab. Anschließend wird viel gelacht, schließlich ist es kaum möglich, sie mit Würde zu essen und sich danach nicht nach einem trockenen Tuch zu sehnen. Wassermelonen verbinden, so viel steht fest.
Noch vor wenigen Monaten gab es in Nueva Vida keine Wassermelonen, in dem kleinen Dorf in der Nähe der Provinzhauptstadt Cobija im Norden Boliviens, in dem der 40-jährige Carlos Tellería lebt. Und nicht nur das. Es gab auch keine Kaffee- und Kakao-Pflanzen, die hier überdurchschnittlich gut gedeihen, keine Bananen, keine Paprikas, keine frischen Gurken, keine Zucchini, keine Zwiebeln. All das bereichert inzwischen die Natur und sorgt dafür, dass die Menschen hier - in einem der ländlicheren Teile des Landes - häufiger als früher ohne knurrenden Magen ins Bett gehen können. Tellería ist ein Macher. Seine Gestalt ist wohl am ehesten mit drahtig und muskulös beschrieben, seine Einstellung zum Leben mit zupackend. Er ist einer der Teilnehmer des Pilot-Projektes der Caritas, dessen Ziel es ist, mindestens 2.000 Angehörige von indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinschaften im bolivianischen Regenwald dabei zu unterstützen, ihre Art zu Leben und zu Wirtschaften mit der Sensibilität des Ökosystems in Einklang zu bringen - womit sie auch einen Anteil leisten, den Klimawandel abzuschwächen.
Eine Beschreibung, die nicht zu hoch gegriffen ist. Denn was ist die Alternative dazu, verschiedene Pflanzen mitten im Urwald anzubauen, ihre Wechselwirkungen zu studieren und für sich auszunutzen? Es ist das, was die Menschen hier noch bis vor kurzem betrieben haben. Die Brandrodung.
Nicht nur Wassermelonen gedeihen im RegenwaldFoto: Caritas international / Holger Vieth
Eine Jahrhunderte alte Kulturtechnik, die solange einigermaßen funktioniert, solange die Bauern nicht sesshaft sind und es generell nur wenige Menschen gibt, die es zu versorgen gilt. Denn die langfristigen Effekte dieser Art des Wirtschaftens sind fatal. In großen Teilen der Amazonasregion wird sie noch immer dazu genutzt, schnell eine Brache für die Gewinnung etwa von Palmöl oder Soja mitsamt einem kleinen Fundament von Nährstoffen zu schaffen. Die Folgen: Die schmale Humusschicht wird von den Elementen schnell abgetragen oder verkrustet. Zurück bleibt nichts als unfruchtbare Wüste. Und immer wenn ein Stück Regenwald in Flammen aufgeht, wird der in der Biomasse gespeicherte Kohlenstoff schlagartig als Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Nicht ohne Folgen: Mehr als zehn Prozent, so der weitgehende Konsens in der Wissenschaft, trägt allein die Brandrodung tropischer Wälder zum weltweiten Treibhauseffekt bei.
Besuch im Dschungel: Die Caritas Bolivien auf Stippvisite in einem ProjektdorfFoto: Caritas international / Holger Vieth
Carlos Tellería hat früher selbst mit Feuer hantiert. Der Vater von drei Kindern kann sich inzwischen aber nicht mehr vorstellen, zu Kanister und Streichhölzern zu greifen. "Ich habe gelernt, dass es andere Wege gibt, als den Wald niederzubrennen", sagt er. Er ist glücklich, bei dem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Rahmen der Initiative "Eine Welt ohne Hunger" geförderten Programm der lokalen Caritas mitmachen zu dürfen. Von ihr wird er mit Pflanzensetzlingen versorgt, kann sich in allen land- und forstwirtschaftlichen Fragen beraten lassen und regelmäßig wissenschaftliche Kurse zu nachhaltigen Anbautechniken besuchen. Auch bei der Vernetzung der Parzellenbetreiber untereinander hilft die Caritas. "Zusammen mit den anderen Teilnehmern habe ich gelernt, welche Fruchtfolgen beim Anbau am sinnvollsten sind - aber auch ganz grundlegend, wie wichtig es ist, die Natur zu schützen", sagt Tellería. Sein Wissen wende er in seiner Parzelle an, die ungefähr zwei Fußballfelder groß ist. "Ich kann die Ergebnisse sehen. Die Pflanzen haben eine ganz andere Qualität, zudem haben wir so viel mehr organische Masse, die den Boden fruchtbar hält." Ein Konzept, das es auch wert sei, dass es Nachahmer gibt, findet Tellería. "Ich versuche, meine Freunde und Bekannten davon zu überzeugen, diese Anbaumethode auszuprobieren." Zu ihrem eigenen Vorteil, meint er. "Und für Pachamama", sagt er. Die von den Quechua und Aymara noch heute verehrte Erdenmutter.
Holger Vieth / August 2016