Unsere Hilfen kommen auch in der Pufferzone an
Herr Neher, wie schätzen Sie die aktuelle Lage in der Ost-Ukraine ein?
Die meisten Menschen in Deutschland haben den Konflikt in der Ukraine vergessen. Dabei geht die militärische Auseinandersetzung dort trotz des Waffenstillstandes weiter. Die Menschen leiden unter Granateinschlägen, Gewehrfeuern, Blindgängern und Minen - und das seit 2014. Perspektivlosigkeit wird für viele zum erdrückenden Lebensgefühl. 3,4 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, anderthalb Millionen sind Vertriebene im eigenen Land. Ich selbst habe mir bei einem Besuch im Herbst 2016 davon ein Bild machen können.
Wen trifft der Konflikt am härtesten?
Rund 600.000 Menschen leben in der Pufferzone. Das ist ein rund 450 Kilometer langer und 30 Kilometer breiter Streifen, der die Ukraine von den Gebieten der Separatisten trennt und in dem immer noch täglich gekämpft wird. In den Orten sind viele alt, krank oder bettlägerig. Diese Menschen können und wollen ihre Heimat nicht verlassen und anderswo neu anfangen, so wie es ihre Kinder und Enkelkinder schon getan haben.
Kann die Caritas diese Menschen in der Pufferzone unterstützen?
Ja, das geht, wenngleich der Einsatz unserer Kolleginnen und Kollegen mit großen Gefahren verbunden ist. Fast täglich kommt es dort zu Gefechten. Deshalb setzen wir auf mobile Teams, die von vier sicheren Standorten aus tagsüber in die Dörfer der Pufferzone fahren. Sie erreichen Menschen, deren Lebensgrundlage buchstäblich weggebombt wurde, versorgen diese medizinisch und betreuen sie psychologisch. Zur Hilfe gehört auch, dass die Menschen Geldkarten bekommen, mit denen sie sich Lebensmittel und Medikamente kaufen können. Andere bekommen von uns Heizmaterial für den Winter.
Welche Hilfen erhalten die Menschen, die innerhalb der Ukraine geflüchtet sind?
An mehreren Standorten im Osten der Ukraine haben wir Sozialzentren aufgebaut, die zur Anlaufstelle für viele Binnenflüchtlinge geworden sind. Die müssen traumatische Erlebnisse verarbeiten, brauchen für sich und ihre Familien eine neue Lebensgrundlage und werden dabei von unseren Fachleuten beraten und unterstützt.
Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist auch, das Klima unter den Menschen zu verändern. Dass das nicht einfach ist, liegt auf der Hand. Die Vertriebenen werden an ihren neuen Wohnorten oft mit Vorurteilen und Vorbehalten konfrontiert. Deshalb bringen wir Menschen miteinander ins Gespräch, machen Trainings, Schulungen und Versöhnungsveranstaltungen, damit der Friede eine Chance bekommt.
Wie finanziert sich die Arbeit der Caritas in der Ukraine?
So alarmierend die humanitäre Lage dort ist, so schwierig ist es, die Hilfen zu finanzieren. Offiziellen Angaben der Vereinten Nationen zufolge waren die internationalen Hilfsappelle im Jahr 2017 nur zu 35 Prozent gedeckt. Das ist ein Skandal unmittelbar vor unserer Haustür.
Viele unserer Projekte können wir mit Mitteln des Auswärtigen Amtes und des Ministeriums für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit realisieren. Für die psychosoziale Begleitung und Unterstützung minderjähriger Flüchtlinge sowie für den Ausbau eines Netzwerkes für die Hauskrankenpflege sind wir aber auf Privatspenden angewiesen.