Ein Beitrag von Ole Hengelbrock
Referent für Grundsatzfragen bei Caritas international
15. November 2022 / Lesedauer: 4 Minuten
Caritas international: Was beobachtest du auf der COP 27 in Ägypten?
Ole Hengelbrock: Die UN-Klimakonferenz findet in einem Klima des Vertrauensverlustes statt. Im Globalen Süden wächst der Unmut. In der Vergangenheit sind Zusagen für die Bewältigung einer ganzen Reihe von Katastrophen entweder nicht eingehalten worden oder blieben hinter den Versprechungen zurück - von Mitteln zur Anpassung an die Klimakrise über die Beendigung von Hunger bis hin zur gerechten Bereitstellung von Impfstoffen.
Wie äußert sich dieses "Klima des Vertrauensverlustes"?
Hengelbrock: Bereits auf der Generalkonferenz der Vereinten Nationen im September brachte es die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, auf den Punkt: "Es schafft kein Vertrauen, wenn Länder 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die Klimafinanzierung zusagen und dann nur einen Bruchteil davon an die Entwicklungsländer weitergeben; oder wenn sie sich zu 0,7 % des BIP als ODA [offizielle Entwicklungshilfe] verpflichten, diese Summe aber nicht bereitstellen".
Welche Themen auf der COP könnten den Vertrauensverlust noch vergrößern?
Hengelbrock: Die Frage nach Entschädigung für klimawandelbedingte Schäden, "Loss and damage" genannt. Im Kern geht es um das Verursacherprinzip. Die einkommensstarken Länder sollen für die aufgrund ihrer Treibhausgasemissionen entstehenden Schäden rechenschaftspflichtig werden. Diese Idee trifft in den Hauptstädten der Industriestaaten jedoch auf wenig Gegenliebe. Die US-Regierung hat 2015 im Pariser Klimaübereinkommen sogar versucht, Schadensersatzansprüche für alle Zeiten auszuschließen. Während Dänemark als erster Staat Schadenersatz in Höhe von umgerechnet 13,4 Millionen Euro zusagt für Verluste infolge der Klimakrise, zeigt die EU wenig Interesse, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Warum sollte die EU mehr Verantwortung übernehmen?
Hengelbrock: Eine Studie der Europäischen Umweltagentur führt einmal mehr vor Augen, dass die EU nicht nur historisch, sondern auch heute noch immer viel zu hohe Emissionen ausstößt und zu wenig leistet, um Katastrophen wie Dürren, Wasserknappheit, Überschwemmungen und Rekordtemperaturen zu verhindern oder abzumildern. Ein fataler Fehltritt, denn wir werden das 1,5-Grad-Ziel unweigerlich verfehlen. Die Folgen werden im Globalen Süden weit mehr Tote und obdachlose Menschen fordern als hierzulande.
Und wie verhält sich Deutschland?
Hengelbrock: Die Bundesrepublik macht ihre Hausaufgaben nicht. Ihr Versprechen vom G7-Gipfel 2021, spätestens 2025 jährlich sechs Milliarden Euro zur Klimafinanzierung beizutragen, rückt in weite Ferne. Die bisherigen 4,3 Mrd. Euro kommen zum Großteil aus dem Etat des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, er soll aber 2023 um gut zehn Prozent gekürzt werden. In der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik spielt das Thema Klima hingegen inzwischen eine größere Rolle. Bei der Ausarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie soll "Klimasicherheit" mehr Priorität bekommen. Denn in Regionen, wo das Vieh der Bevölkerung wegen klimabedingter Dürren stirbt, Ackerflächen vertrocknen und Menschen ihr Einkommen verlieren, haben es Extremismus und Gewalt leichter. Die islamistische Terrorgruppe Al-Kaida rekrutierte in der Sahelzone beispielsweise gezielt junge Menschen, die in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Die Menschen in diesen Gebieten vor den Gefahren der Erderwärmung zu schützen und sie finanziell bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, ist daher auch eine sicherheitsrelevante Maßnahme. Ich finde, ein substanzieller Teil des beschlossenen 100-Milliarden-Sondervermögens für die Aufrüstung der Bundeswehr - das übrigens in energieintensive Stahlproduktion fließt und damit dem Klima schadet - sollte daher für wirkungsvolle internationale Klimaschutzmaßnahmen umgewidmet werden.
Sind das überhaupt noch lösbare Hausaufgaben im Angesicht der "rauen Jahre", auf die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die deutsche Bevölkerung einstimmt?
Hengelbrock: Steinmeier spricht sich für mehr Zusammenhalt aus. Bei allen Sorgen sollen wir nicht vergessen, dass wir auf die Kraft und Stärke bauen können, die wir uns in den vergangenen Jahren erarbeitet haben. Wirtschaftlich schwächere Länder können aber nicht darauf vertrauen! Die 55 für die Erderhitzung anfälligsten Länder sind hoch verschuldet. Damit fehlen Ressourcen für die Klimaanpassung und die Bewältigung der Verluste und Schäden. Die bisherige internationale Klimafinanzierung in Form von Krediten verschlimmert die Situation langfristig eher, als dass sie sie verbessert. Durch Kredite stürzen betroffene Staaten in noch tiefere Schuldenkrisen. Oft wird vergessen, dass sowohl Staatsverschuldungen als auch die Klimakrise in historischer Verantwortung durch den Globalen Norden entstanden sind. Ein konkreter Vorschlag für mehr internationalen Zusammenhalt ist ein Schuldenschnitt, der die Länder handlungsfähiger macht, um Anpassungsmaßnahmen an die Klimakrise finanzieren zu können. Der Schuldenschnitt wäre ein Teil der historischen Wiedergutmachung für die Schäden, die mehrheitlich der Globale Norden verursacht hat.
Angenommen eine Regelung zu "Loss and Damage" oder zum Schuldenschnitt würden auf der COP 27 beschlossen - fände die COP 28 dann in einem "Klima des Vertrauens" statt?
Hengelbrock: Das können nur die betroffenen Staaten beantworten. Klar ist, dass jedes Jahr der Untätigkeit den Vertrauensverlust verstärkt und damit internationale Kooperationen erschwert. Wir müssen denjenigen Stimmen Gehör verschaffen, die am stärksten von der Klimakrise bedroht sind und nicht auf die Kraft und Stärke bauen können, die sie sich in den vergangenen Jahren erarbeiten konnten. Es geht um Aufmerksamkeit. In der ersten Jahreshälfte 2022 räumte "Tagesschau" dem Sport mehr Sendezeit ein als allen Staaten des Globalen Südens zusammen, und über das britische Königshaus wurde umfangreicher berichtet als über den globalen Hunger. Wir müssen unsere Sender klima- und konfliktsensibel einstellen.
Machen Sie mit! Teilen Sie unsere Beiträge und helfen Sie uns dabei, mehr Menschen zu erreichen.