Ein Beitrag von Martina Backes
freie Mitarbeiterin bei Caritas international
30.07.2021 / Lesedauer: 5 Minuten
Man kann ein einzelnes Hochwasser nicht direkt dem Klimawandel zuschreiben. In der Tat sind es komplexe Wirkungsketten, die aus Wetterextremen eine Katastrophe solchen Ausmaßes machen wie am 14. Juli im Westen Deutschlands. Doch was die Klimaexpertise ohne Zweifel zeigt und seit Jahren betont: Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich solche Extremwetter ereignen, steigt.
Bereits 2018 warnte das Potsdamer Institut für Klimaforschung (PIK) vor heftigen Regenfällen und dem erhöhten Risiko von Überschwemmungen an Flüssen. Dabei stellten die Klimaexperten fest, dass der Anpassungsbedarf - also die Vorsorge, um mit diesen Risiken fertig zu werden - in den USA, in Teilen Indiens und Afrikas, in Indonesien und in Mitteleuropa einschließlich Deutschland am größten ist.
Wechselbäder: Hitzewellen und Sturzfluten
Deutschland in einem Zug mit Indonesien, Indien und Ländern Afrikas in einer Risikoanalyse zu lesen, verwundert zunächst. Denn über Extremwetter mit Monsunregen, Wirbelstürmen und Überschwemmungen wird eher aus dem fernen Süden berichtet. Auch werden viele fragen: Wie passt die diesjährige Flut in Deutschland, Belgien und den Niederlanden zu den letztjährigen Meldungen über Dürren und Trockenheit? Etwa zu der Nachricht des Copernicus-Klimawandeldienstes der Europäischen Union, wonach die Monate Dezember 2019 bis Februar 2020 in Europa als die trockensten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gelten?
In Europa sind Hitzewellen inzwischen einhundert Mal wahrscheinlicher als noch vor 100 Jahren. Die Umweltorganisation Germanwatch hat in ihrer Klimarisikoanalyse 2020 einen Fokus auf Hitzewellen gelegt. Die am meisten von längeren Hitzewellen und Trockenheit betroffenen Länder 2018: Deutschland, Japan und Indien. In dieser Reihenfolge. Luftaufnahmen toter Nadelwälder aus Hessen und aus dem Bergischen Land zeigten erst letzten Sommer den enormen Trockenstress der Wälder.
Wie zwei Seiten einer Medaille gehören zu Hitzewellen und Dürren Starkregen und Fluten. Es ist eine einfache und wiederkehrende Geschichte - allerdings mit hefigen Folgen. Während der Grundwasserspiegel nach trockenen Jahren sinkt und der Boden kaum mehr Feuchtigkeit in den tiefen Schichten hält, verdichtet sich die Erde oberflächlich und lässt plötzliche Starkregen einfach abfließen. Ein paar Spatenstiche tief ist der Boden vielerorts dennoch trocken. Bäche oder Talsohlen schwellen zu reißenden Flüssen an. Je enger das Tal und je größer das Einzugsgebiet, desto schneller steigt der Pegel.
Prognosen des Weltklimarates 2021
Die diesjährige Wetterlage mit Starkregen und Überflutungen wie in Deutschland und Waldbränden als Folge extremer Hitzewellen illustriert - leider - die Kernaussagen des neuen Berichtes des Weltklimarates sehr gut. Am 9. August 2021 wurde der erste Teil des nunmehr sechsten Sachstandsberichts veröffentlicht. Das Fazit der 243 Expert_innen aus 66 Ländern: In allen Regionen der Welt sind Waldbrände, Hitzewellen, Dürren oder Überschwemmungen schon heute häufiger und intensiver. In der nahen Zukunft werden sie immer wahrscheinlicher. Die so genannte Zuordnungsforschung, die den Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen errechnet, kommt hier zu alarmierenden Ergebnissen. Dazu erklärt Malte Hentschke-Kemper, stellvertretender Geschäftsführer der Klima-Allianz Deutschland: "Die Ergebnisse der Working Group I. zum 6. Sachstandsbericht führen uns schonungslos vor Augen, dass sich die Klimakrise immer schneller verschärft."
Extremwetterereignisse werden immer häufiger und gefährlicher
Das haben wir in den letzten Wochen mit den Waldbränden im Mittelmeerraum von der Türkei über Griechenland bis nach Spanien erfahren. "Die Klimakrise ist bereits da und fordert dringend entschiedenes politisches Handeln", so die Klima-Allianz, deren Mitglied Caritas international ist.
Das legt auch die Kernaussage des neuen Berichtes nahe: Die kritische Schwelle von 1,5 Grad Erwärmung könnte schon in wenigen Jahren erreicht oder sogar überschritten werden. Dieser kritische Punkt, der kein Zurück mehr zulässt, kann nur verhindert werden, wenn klimaschädliche Emissionen sofort, rasch und in großem Umfang verringert werden.
Wer das Schlimmste verhindern will, muss mit allem rechnen
Als humanitäres Hilfswerk kümmert sich Caritas international seit Jahren um Flutopfer. Die Bilder der vergangenen Tage in Deutschland erinnern manche Helfer_innen an die Bilder vom Elbehochwasser 2002. Oder aus Mosambik, als 2019 der Wirbelsturm Idai weite Teile des Landes verheerte.
Ein zerstörtes Haus ist ein zerstörtes Haus, egal ob es aus Lehm, Ziegeln oder Beton gebaut ist. Der Verlust des Zuhauses ist existentiell, überall auf der Welt. Allerdings sind die sozialen Sicherungssysteme von Land zu Land unterschiedlich stark ausgeprägt - oder schwach. Das Verzeichnis ökologischer Bedrohungen 2020 (ETR) schätzt, dass 31 Länder künftig nicht widerstandsfähig genug sind, um die ökologischen und politischen Veränderungen aufzufangen, denen sie künftig ausgesetzt sein werden. Schlimmstenfalls könnten weltweit bis zum Jahr 2050 über eine Milliarde Menschen ohne Zuhause sein.
Daseinsvorsorge in Zeiten des Klimawandels
Die vergangenen Tage und Jahre haben uns als Hilfswerk gezeigt: Die Aufgaben der humanitären Hilfe nehmen mit den Klimafolgen zu. Mit jedem Einsatz wächst auch die Expertise. Wenige Tage vor der Flutkatastrophe in Deutschland schrieb Oliver Müller, Leiter von Caritas international, zur Auslandshilfe bei Klimabedingten Katastrophen: "Caritas international sieht einen enormen Bedarf an professioneller Sozialarbeit auf sozialräumlicher und gemeindebasierter Ebene, um Katastrophenvorsorge in den Gemeinden, Schulen, Arbeitsstellen oder Nachbarschaften dauerhaft zu verankern.” Ob in Mosambik, Haiti oder Deutschland: Die Caritas setzt sich weltweit dafür ein, dass der Katastrophenschutz soziale Belange im Blick behält.
Ob in Mosambik, Haiti oder Deutschland: Die Caritas setzt sich weltweit dafür ein, dass der Katastrophenschutz soziale Belange im Blick behält.
Zudem braucht es wirksamen politische Gestaltungswillen gegen die Folgen und gegen die Ursachen des Klimawandels. Folgt man der Einschätzung von Hans-Otto Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut (AWI), dann gilt es, das Potential der Natur zum Klimaschutz konsequent zu nutzen. Denn Klima und Naturräume bedingen sich gegenseitig. Und nur gesunde Ökosysteme mit einer artenreichen und widerstandsfähigen Natur sind in der Lage, die Erderwärmung gering zu halten und eine nachhaltige, sozial gerechte Entwicklung menschlicher Gemeinschaften zu ermöglichen.
- Informationen zur Fluthilfe in Deutschland
- Über den Wiederaufbau in Mosambik
- Mehr über die Katastrophenvorsorge in Haiti
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