Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan
Im Herbst 2023 ist der jahrzehntelange Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Bergkarabach erneut eskaliert. Mehr als 100.000 Armenier, darunter 30.000 Kinder, sind aus Bergkarabach nach Armenien geflohen. Insgesamt macht die Zahl der Vertriebenen nahezu drei Prozent der armenischen Bevölkerung aus, zusätzlich zu den mehr als 35.000 Flüchtlingen, Asylbewerbern und Staatenlosen, die sich bereits im Land aufhalten. Viele der Menschen, die fliehen mussten, sind ältere Menschen, Frauen und Kinder, Schwangere, Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sowie Neugeborene. Die Flüchtlinge kamen nach der 10-monatigen Blockade von Bergkarabach physisch und psychisch erschöpft an. Sie brauchen dringend Hilfe.
Die armenische Caritas unterstützt Flüchtlinge aus Bergkarabach schon seit dem Bergkarabach-Krieg 2020. Die Menschen erhalten Bargeld, mit dem sie beispielsweise die baufälligen Unterkünfte reparieren und bewohnbar machen können, die sie zur Verfügung gestellt bekommen. Gleichzeitig begleiten die Mitarbeitenden der Caritas die Menschen psychologisch und sozial. Sie helfen ihnen, ihre Traumata der Flucht zu verarbeiten und unterstützen sie dabei, einen Job zu finden und ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Doch der Krieg ist nicht die einzige Herausforderung für die Betroffenen.
Als ehemalige Sowjetrepublik steht Armenien auch mehr als 30 Jahre nach der Unabhängigkeit großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen gegenüber. Mit nur wenigen Bodenschätzen ausgestattet, geopolitisch gelegen zwischen den miteinanderverbündeten Staaten Türkei und Aserbaidschan, die beide ihre Grenzen zu Armenien geschlossen halten, kann das Land nur über den Iran und Georgien Handel treiben. Die wirtschaftliche Lage ist deshalb schwierig, und viele Menschen leben in Armut.
Caritas-Hilfen auf einen Blick:
- Stabilisierung und Renovierung
provisorischer, maroder Unterkünfte für die Geflüchteten.
- Ausstattung mit Nutztieren und Arbeitsmaterial
z.B. Kälber, zur Produktion und Verkauf von Käse und Milch sowie Werkzeuge oder Nähmaschinen, mit deren Hilfe Einkommen erwirtschaftet werden kann. - Solarthermieanlage für warmes Wasser oder eine Photovoltaikanlage
Mehr als 340 Familien und einige Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten stattet die Caritas mit Solarthermie und Photovoltaikanlagen aus. Finanziert werden diese Hilfen vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) aus Deutschland. - Inklusion in Schulen
Caritas international finanziert mit Unterstützung des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Barrierefreiheit in Schulen sowie Lernhilfen und therapeutische Geräte. Dieses Förderprogramm kommt insgesamt nahezu 1.500 Kindern, Eltern sowie pädagogischen und therapeutischen Fachkräften zugute. - Kinderzentrum "Kleiner Prinz"
Das Zentrum ist Zufluchtsort für Kinder aus vulnerablen Familien. Täglich erhalten sie dort ein warmes Mittagessen sowie Angebote zum Spielen und Lernen.
Unterstützung durch Renovierung, Nutztiere und einkommensschaffende Maßnahmen
Die Geflüchteten im Südosten Armeniens müssen oft in Rohbauten, Blech- oder Bretterverschlägen leben. So auch Valeri Matevosyan und seine Frau Jelena Arapetyan, die im September 2020 vor dem Krieg in Berg-Karabach geflohen sind. "Die aserbaidschanischen Soldaten waren schon sehr nah", berichtet Jelena Arapetyan. "Wir sind wie in der Bibel mit einem Esel geflohen und konnten dementsprechend wenig mitnehmen. Ein Auto haben wir nicht." Das Haus, in dem sie nun am Rande des Dorfes Aravus nahe der aserbaidschanischen Grenze wohnen, haben sie von der Stadtverwaltung erhalten. "Wir haben aber alles selbst hergerichtet", betont Valeri Matevosyan. "Das Haus ist sehr baufällig. Aber wir haben keine andere Wahl."
Armenien, Goris: Jelena Arapetyan (69) und Valeri Matevosyan (70), vor ihrem Haus, das sie mithilfe der Caritas winterfest gemacht haben. Hier fanden sie Zuflucht, nachdem sie 2020 vor dem Krieg in Berg-Karabach geflohen sind.Foto: Bente Stachowske
Die armenische Caritas hat in Zusammenarbeit mit Caritas international aus Deutschland das Ehepaar dabei unterstützt, das Dach und die Tür zu reparieren. Das macht einen großen Unterschied. "Vorher, mit der alten Tür, war es immer kalt", erläutert Jelena Arapetyan. "Jetzt ist es warm und nicht mehr so laut. Auch das Dach hat alles besser gemacht. Vorher hat es auf unsere Köpfe geregnet. Jetzt ist es trocken." Die Caritas wird das Ehepaar auch weiter unterstützen: Sie bekommen zwei Kälbchen, damit sie Milch verkaufen und Käse für den Verkauf produzieren können.
Warmes Wasser dank Sonnenenergie
Doch die Caritas-Hilfen in Armenien richtet sich nicht nur an Geflüchtete. Auch in anderen Regionen des Landes hilft die Caritas bedürftigen Menschen. In der Region Shirak im Nordwesten des Landes, rund um die zweitgrößte Stadt des Landes, Gjumri, gelegen, fördert Caritas international beispielsweise Klimaprojekte. Haushalte mit niedrigem Einkommen, die in den langen Wintern fast ausschließlich mit Kuhdung heizen, erhalten hier eine Solarthermieanlage für warmes Wasser oder eine Photovoltaikanlage. "In Armenien haben wir bis zu 300 Sonnentage im Jahr", berichtet Armen Martirosyan, der bei der Caritas Armenien für das Programm der Erneuerbaren Energien verantwortlich ist. "Das wollen wir nutzen, in dem wir die Menschen dabei unterstützen, klimafreundlicher zu heizen und weniger Geld für Heizmaterial ausgeben zu müssen. Denn die Sonne scheint ja gratis."
Nanar Dartyan, die seit einigen Monaten eine Solarthermieanlage von der Caritas hat, freut sich: "Vorher musste ich das Wasser auf dem Holzofen erwärmen, etwa wenn ich mein Baby baden wollte. Jetzt kommt das warme Wasser aus dem Wasserhahn, und alles ist sehr viel leichter." Zudem verringert sich das Verletzungsrisiko, sodass man sich nicht mit heißem Wasser verbrüht. Über 350 Familien und einige Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten stattet die Caritas mit Solarthermie und Photovoltaik aus. Finanziert werden diese Hilfen vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) aus Deutschland.
Nanar Dartyan (35) freut sich mit ihrer Tochter Tatev (3) über warmes Wasser aus dem Hahn. Jetzt muss sie das Wasser zum Baden nicht mehr auf dem Herd erhitzen - eine Erleichterung. Nanar hat mit ihrem Mann Hamik (46) 4 Kinder zwischen 14 Jahren und 9 Monaten. Foto: Bente Stachowske
Jetzt für Geflüchtete in Armenien spenden
Inklusion geschieht auf mehreren Ebenen
Ebenfalls im Nordwesten Armeniens fördert die Caritas Inklusion an Schulen. "Es geht vor allem darum, die Haltung der Eltern, der Schülerinnen und Schüler zu ändern", erklärt Siranush Minasyan, die das Programm zur inklusiven Bildung bei Caritas Armenien verantwortet. "Bevor die Schulen inklusiv wurden, sind viele behinderte Kinder gar nicht zur Schule gegangen oder wurden in Zentren gegeben, die weit weg sind. Sie waren über Wochen von ihren Eltern getrennt. Viele sind auch in Waisenhäusern abgegeben worden. Die Haltung war: Kinder mit Beeinträchtigungen sind eine Schande. Sie wurden versteckt. Das ändern wir nun. Inzwischen sind sämtliche Schulen in Armenien inklusiv."
Caritas international finanziert mit Unterstützung des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch die Ausstattung für Barrierefreiheit in den Schulen sowie Lernhilfen und therapeutische Geräte, um die Kinder optimal zu fördern. Dieses Förderprogramm kommt insgesamt nahezu 1.500 Kindern, Eltern sowie pädagogischen und therapeutischen Fachkräften zugute.
Armenien, Gjumri: Edgar Mkrtchyan (9), 4. Klasse, leidet unter Hörproblemen. Er darf eine inklusive Schule in Gjumri (1. – 12. Schuljahr) besuchen. Außerhalb des Unterrichts arbeitet ein Logopäde mit ihm.Foto: Bente Stachowske
Zufluchtsort für Kinder
Weil viele Menschen in Armenien arm und arbeitslos sind, schaut die armenische Caritas besonders auf die Kinder aus diesen Familien. In den Kinder- und Jugendzentren namens "Kleiner Prinz" können Kinder aus benachteiligten Familien unbeschwerte Stunden verbringen. Sie erhalten eine warme Mahlzeit (oft die einzige am Tag), spielen, treffen Freundinnen und Freunde und lernen, dass sie trotz ihrer Armut nicht weniger wert sind. Viele der Kinder haben alleinerziehende Mütter. Die Väter
haben die Familien verlassen, so dass die ganze Last des Geldverdienens und der Erziehung bei den Müttern liegt. So wie bei Nelly Saregsyan und ihrer elfjährigen Tochter Irina. Nelly
Saregsyan ist arbeitslos und erhält kaum staatliche Unterstützung. Ihre Lebensbedingungen sind sehr ärmlich. "Der einzige Ort, an dem ich Unterstützung, Informationen und Essen bekomme, ist die Caritas", sagt Nelly Saregsyan. "Die Caritas rettet mich. Wenn ich einmal gar nichts habe, weiß ich, dass es bei der Caritas einen Ort gibt, wo es warm ist."
Armenien, Vanadzor. Im Kinderzentrum "Kleiner Prinz": Eleonora Matevosyan (31), Caritas Sozialarbeiterin mit Kindern. Die Kinder kommen nach der Schule und bekommen ein warmes Mittagessen. "Kleiner Prinz" ist ein Zentrum für benachteiligte Familien. Hier finden die Kinder Angebote für Bildung und Spiel sowie Zuwendung, wie Irina (rechts, mit blauer Weste).Foto: Bente Stachowske
Tochter Irina geht regelmäßig ins Kinderzentrum "Kleiner Prinz", zum Kochclub und zum Malclub. Sie erhält dort auch Kleidung und warme Schuhe, spricht aber auch mit einer Psychologin über ihre Situation. "Ich fühle mich dort erwünscht", erzählt Irina. "In der Schule bin ich Außenseiterin, weil ich keinen Vater habe und nicht schick angezogen bin. Bei der Caritas sind alle gleich. Das mag ich. Ich lerne auch gerne, besonders Englisch, und kann im Zentrum gut meine Hausaufgaben machen. Ich möchte gerne Krankenschwester oder Polizistin werden." Die Caritas-Sozialarbeiterin Anna Zalinyan ergänzt: "Es ist wichtig zu erwähnen, dass Irinas Mutter Nelly uns auch etwas zurückgibt. Sie ist immer da, um im Kinderzentrum mitzuhelfen. Ihr ist das wichtig." Die Caritas unterstützt mit ihrer Arbeit in den Kinder- und Jugendzentren "Kleiner Prinz" mehr als 700 Kinder und Eltern.
Jetzt für Geflüchtete in Armenien spenden
Im Herbst 2020 eskalierte der langjährige Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die umstrittene Region Berg-Karabach erneut. Mehr als 7.000 Soldaten und über 170 zivile Opfer starben. Die Region Berg-Karabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, jedoch von Armenier_innen bewohnt wird, ist seit einem Unabhängigkeitsreferendum im Dezember 1991 umstritten. Seit dem Ende des von 1992 bis 1994 andauernden Krieges befand sich die Region in einer brüchigen Waffenruhe, während derer bei kleineren Scharmützeln immer wieder Opfer zu beklagen waren.
Im Zuge der erneuten Kämpfe ist seit Anfang Dezember 2023 der Lachin-Korridor, die einzige Verbindungsstraße nach Berg-Karabach, blockiert, so dass keine Waren mehr in die Exklave, in der rund 120.000 Menschen leben, gelangen können. Allerdings gibt es eine Anordnung des Internationalen Strafgerichtshofes, die andauernde Blockade aufzuheben. Außerdem herrschen ständig Stromausfälle vor. Inzwischen sind etwa 50.000 Geflüchtete aus der Region Berg-Karabach in ganz Armenien untergekommen. Die Situation in Nagorno-Karabakh ist eine humanitäre Katastrophe. Seit dem Aufflammen der Kämpfe im September 2020 gibt es für die Region ein erhöhtes Engagement der Europäischen Union, die im Januar 2023 beschlossen hat, für die kommenden zwei Jahre eine Beobachtungsmission (EUMA -EU-Monitoring Armenia) zu entsenden.