Das Trauma überwinden: Ein Zentrum für Militärangehörige in der Ukraine
Die rund 200 Patientinnen und Patienten kommen aus der ganzen Ukraine: Saporischschja, Kiew, Charkiw, Kamjanske… Unter ihnen sind Frauen mit Kleinkindern, Menschen mit Behinderung und Militärangehörige. Viele wurden von Caritas-Sozialzentren hierher verwiesen oder über das Internet (Webseite, Facebook) darauf aufmerksam
Seit 2015 nimmt Nazareth ehemalige Militärangehörige auf. "Wir wussten, dass wir uns diesen Herausforderungen stellen mussten, auch wenn wir anfangs nicht wussten wie", erinnert sich Maryna Poturai, Psychologin und Projektkoordinatorin im Nazareth-Zentrum. "Deshalb nahmen und nehmen wir regelmäßig an Fortbildungen teil. Im Laufe der Zeit haben wir ein spezielles Programm für ehemalige Militärangehörige entwickelt, das auch die Diagnose von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und verschiedenen anderen Erkrankungen umfasst."
Nach ihrer Rückkehr aus dem Militärdienst und von der Front fällt es den Soldaten oft schwer, sich zu öffnen und ihren Familien zu erzählen, was sie erlebt haben. Vielen fehlt die Kraft, ihren Alltag zu bewältigen. "Alkohol und Drogen sind dann für viele der einfachste Weg, um Stress abzubauen. Wenn man Drogen nimmt, spürt man die Anspannung nicht, die Probleme scheinen gelöst und die Welt sieht anders aus. Auf diese Weise kann ein Mensch seinen Kummer, sein unerfülltes Potenzial und vieles mehr betäuben", erklärt die Psychologin Maryna Poturai. Familien würden zerstört, weil Ehefrauen oder Mütter nicht wüssten, wie sie mit ihren Männern oder Söhnen umgehen, wie sie mit ihnen kommunizieren sollten. Für die Psychologin ist dies auch eine Folge der mangelnden Vorbereitung der Gesellschaft, in die die ukrainischen Kämpfer zurückkehren.
Menschen, die an Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) leiden, brauchen professionelle Hilfe. Unbehandelt kann PTBS zu emotionaler Erregung, ständiger Wachsamkeit, Misstrauen, von Angst- und Panikattacken bis hin zu Halluzinationen führen. Das Rehabilitationsprogramm besteht aus Gruppen- und Einzeltherapie und umfasst vier Phasen. Nazar Reuter, Programmleiter von Nazareth, erläutert sie: "Die erste Phase ist die Adaption. Die Person entscheidet selbst, ob sie im Zentrum bleiben will oder nicht. Die zweite Phase ist die Diagnose, die klärt, welche Lebensbereiche einer Person besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. In der dritten Phase beginnt die Arbeit der Betroffenen an sich selbst. Unser Ziel ist es, sie für das Leben zu motivieren. Denn sie kommen entmutigt zu uns und es braucht viele Ressourcen, um ihnen den Glauben an sich selbst zurückzugeben. Die vierte Phase ist ihre Rückkehr ins normale Leben."
Erfolg definieren die Experten des Zentrums als eine Situation, in der eine Person sich öffnen und über ihr Trauma sprechen kann: "Egal, was ich verloren habe, egal, wie ich mich fühle, ich mache weiter. Auch wenn diese Schritte noch so klein sein mögen, für uns zählt das Ergebnis", sagt Psychologin Maryna Poturai. "Ziel ist, dass ein Mensch durch sein Trauma nicht mehr blockiert wird. Dass er leben und sich weiterentwickeln kann!"
Von 2018 bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges hat der ukrainische Staat die Rehabilitierung von Militärangehörigen als eine Art Sozialdienst finanziert. Das Zentrum finanziert sich seither selbst und wird von Sponsoren und privaten Spendern unterstützt. Mehrere Mitarbeitende des Zentrums sind jetzt bei den ukrainischen Streitkräften. Die Psycholog_innen des Zentrums halten den Kontakt zu ihnen.