Klaffende Schere zwischen Arm und Reich
Bis 2011 boomte Brasiliens Wirtschaft und lag bei einem Wachstum von durchschnittlich 4,9 Prozent pro Jahr. Durch sinkende Rohstoffpreise, eine steigende Verschuldung im Privatsektor und sehr niedrige Produktivität sank jedoch ab 2012 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und erreichte sein tiefstes Niveau in Form einer scharfen Rezession in den Jahren 2015 und 2016. Sportliche Großanlässe wie die WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 brachten nicht die erhofften Impulse.
Seit der Rezession kann Brasiliens Wirtschaft nicht mehr richtig Fuß fassen. Nicht zuletzt belasten die politischen Unsicherheiten im Land die Situation. Orientierungslose Parteien, Korruption und eine ineffiziente öffentliche Verwaltung schwächen die Wirtschaft und den sozialen Bereich gleichermaßen. Die Arbeitslosenrate liegt bei rund 12 Prozent, der Bildungs- und Gesundheitssektor sind defizitär. Viele Krankenhäuser sind veraltet und renovierungsbedürftig, für 1.000 Menschen stehen rund zwei Ärzte zur Verfügung, und die Ausstattung der meisten Schulen ist mangelhaft.
Schere zwischen Arm und Reich
Auffällig an Brasilien ist die Ungleichverteilung unter den Schichten. In kaum einem anderen Land ist die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander, wie hier. Die Regionen spielen jedoch eine entscheidende Rolle: So verfügt der Süden über moderne Wirtschaftsstrukturen, während der Norden und Nordosten als Armenhaus Brasiliens gelten. Hier ist die Ungleichverteilung besonders groß: In der Stadt Recife beispielsweise beanspruchen zwanzig Prozent der Reichsten ganze 85 Prozent des Volkseinkommens, während 40 Prozent der Bevölkerung ein Einkommen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohnes in Kauf nehmen müssen.
Soziale Probleme
Das schlägt sich im Erscheinungsbild der betreffenden Regionen nieder. Rund um Recifes Zentrum liegen die Favelas (Slums), in denen es teilweise nicht einmal Strom und Wasserzugang gibt. Gewalt, Drogenhandel und -konsum, Kriminalität und Bandenbildung beherrschen den Alltag. Auffallend sind die vielen Straßenkinder, nach Experteneinschätzung sollen es über 10.000 Kinder und Jugendliche allein in Recife sein. Viele von ihnen sind Analphabeten und haben nie eine Schule besucht. Ihr ungeregelter Tagesablauf, Drogenmissbrauch und gewalttätiges Verhalten machen den Einstieg in die Arbeitswelt und damit ein Ausweg aus der Misere nahezu unmöglich.
Rechtsradikaler an der Macht
Seit der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro das Land führt, hat sich die Situation verschärft. Seine einschneidenden Reformen richten sich vor allem gegen Indigene, sozial Schwache und auch Frauen.
Eine stark umstrittene Rentenreform, die die kriselnde Wirtschaft retten soll, trifft insbesondere die arme Bevölkerung. Weiter kündigte der Präsident massive Kürzungen im Bildungsbereich an und sprach sich gegen eine gleiche Entlohnung von Frauen und Männern aus. Besorgniserregend ist die zunehmende massive Zerstörung des Regenwaldes, die er zu verantworten hat. Bolsonaro gab Schutzzonen und Wohngebiete der Indigenen im Amazonas zur Rodung. Gleichzeitig strich er fast vollständig das Budget für den Klimaschutz und erklärte, dass wirtschaftliche Interessen vor Umweltschutz stünden. Nahezu anschließend an seine Ankündigungen kam es im August 2019 zu verheerenden Waldbränden im Amazonasgebiet. Bolsonaro bezichtigte NGOs, diese aus Rache gelegt zu haben. Von der internationalen Gemeinschaft wird ihm vorgeworfen, zu spät auf die Brände reagiert zu haben, Hilfsangebote schlug er aus.
„Unter Bolsonaro werden sich Leid und Hunger der Armen und Schutzbedürftigen in Brasilien weiter vergrößern“, meint der Generaldirektor der Caritas Brasilien, Luiz Cláudio Lopes da Silva. Besonders bedenklich sei die Ankündigung, die Anerkennung von Landrechten und Landtiteln an Indigene und andere Minderheiten in Frage zu stellen. "Das wäre ein glatter Bruch der Verfassung", mahnte Lopes da Silva.
August 2019