Corona-Nothilfe
Ihr Beitrag, um die Schwächsten weltweit in der Corona-Krise zu unterstützen:
Auch in Pandemiezeiten gilt das 'do no harm'-Prinzip
Was unterscheidet die Corona-Krise von anderen Krisen, mit denen Caritas international sonst konfrontiert ist?
Wir haben noch nie so viele Hilfsanfragen aus aller Welt zur selben Zeit erhalten wie jetzt. Alle Menschen sind durch die Maßnahmen betroffen, wenn auch nicht alle selbst vom Virus infiziert. Die Situation ist höchst dynamisch: An einem Ort ist noch Zeit für Sensibilisierung und Prävention, woanders – zumeist in den Industrieländern – geht es um akute Linderung und sukzessive Abschwächung. Durch die notwendige Fokussierung auf Corona wird anderen Themen die Aufmerksamkeit entzogen. Im Grunde ist das aber kein Unterschied zu sonstigen Krisen, sondern eher eine Analogie. Es sind die globalen Maßstäbe, mit denen die Pandemie auftritt, die so anders sind. Corona potenziert die Dimension einer Krise sozusagen. Für manche Länder ist der Verlauf relativ glimpflich, für viele andere katastrophal.
Welche Erfahrung hat Caritas mit ähnlichen Krisen gemacht, beispielsweise mit der Ebola-Krise in Westafrika?
Aufmerksamkeit ist ein zentrales Thema. Die Ebola-Epidemie 2014 war spätestens im Mai außer Kontrolle, als das Virus in urbanen Ballungsräumen zu grassieren begann. Die großflächige internationale Hilfe lief allerdings erst im September an, nachdem eine an Ebola erkrankte Person in die USA gereist war. Dann stieg die Fokussierung auf Ebola dermaßen, dass anderen Krisen die Aufmerksamkeit entzogen wurde. Aufmerksamkeit hat mit eigener Betroffenheit zu tun. Auch das ist jetzt zu beobachten.
Ein weiterer Punkt ist Vertrauen. Die Bevölkerung in den betroffenen westafrikanischen Ländern hatte wenig Gründe, der Politik, der Polizei, der WHO oder internationalen Organisationen zu glauben. Zuvor hatte sich auch kaum jemand für ihre Belange interessiert. Warum sollte man plötzlich von außen auferlegte Verhaltensänderungen oder Restriktionen akzeptieren? Es gab Gerüchte, Ebola sei eine Erfindung, um den Menschen im Krankenhaus die Organe zu entnehmen. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass an Ebola erkrankte Personen abgeholt werden, in Isolationstationen alleine versterben und ungesehen begraben werden. Zu Beginn gab es sogar Fälle, in denen Gräber nicht mehr zugeordnet werden konnten. Erst nach der Involvierung gesellschaftlicher Akteure wie z.B. religiöser Bezugspersonen bekam das Vertrauensverhältnis eine Grundlage - und somit auch etwaige Maßnahmen. Ohne Vertrauen sind Maßnahmen nichtig.
Darüber hinaus muss man konstatieren, dass die Ebola-Epidemie eine von Menschen gemachte und absehbare Katastrophe war. Das bedeutet, sie fing nicht mit dem ersten positiven Ebola-Fall im Dezember 2013 an, sondern mit dem sich ihr gebotenen Nährboden. Beispielsweise gab es nach dem zehnjährigen Bürgerkrieg in Sierra Leone Versäumnisse bei der medizinischen Infrastruktur. Das Land hatte eine der niedrigsten Lebenserwartungen der Welt und verzeichnete durch die höchste Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren sowie von werdenden Müttern eine „Geburtskrise“. Dem standen drei Ärzte/innen pro 100.000 Personen entgegen. Diese Missstände waren bekannt. Sie schufen eine besondere Anfälligkeit für die Ausbreitung des Virus. In Krisenzeiten werden Ungleichheiten schonungslos offen gelegt. Und diese werden aller Voraussicht nach auch nach der jeweiligen Krise fortbestehen.
Worin liegt die Gefahr einer universellen Lösungsstrategie bei der Corona-Bekämpfung, etwa wenn sie an das deutsche „Erfolgsmodell“ angelehnt wird?
Die reale Fallzahl von infizierten Personen wird man durch Mangel an Testmöglichkeiten nicht genau feststellen können, doch der Anteil an Menschen, die von den Maßnahmen betroffen sind, liegt bei 100 Prozent. Die notwendigen Auflagen zur Pandemiebekämpfung haben Verlierer zur Folge: So sind zum Beispiel geplante Impfstofflieferungen wegen gestrichener Charterflüge bis zu 80 Prozent zurück gegangen. Fast 120 Millionen Kinder könnten somit aufgrund der Restriktionen nicht gegen Masern geimpft werden. Allein im vergangenen Jahr starben daran in der Demokratischen Republik Kongo bis zu 6.000 Kinder. Auch die zu Beginn des Jahres befürchteten vier Millionen Todesfälle durch HIV, Tuberkulose, Hepatitis, Malaria, vernachlässigte Tropenkrankheiten und sexuell übertragbare Infektionen könnten steigen.
In Deutschland und anderen europäischen Staaten waren Geschäfte mehrere Wochen lang geschlossen. Modeketten kündigten den Textilzulieferern die Verträge, um finanzielle Schäden in Grenzen zu halten. Die Textilproduktion ist aber die Schlüsselindustrie von Bangladesch. Die meisten Menschen dort arbeiten in informellen Arbeitsverhältnissen ohne Verträge oder Versicherungen. Das Auskommen reicht gerade zum Existenzminimum. Mit dem Wegfall der prekären Jobs könnte die globale Armut zum ersten Mal seit 1990 wieder ansteigen. Der Unmut der bangladeschischen Bevölkerung könnte sich indes auf die etwa 900.000 aus Myanmar vertriebenen Rohingya-Flüchtlinge entladen.
Es gibt weltweit etwa 33 Megastädte mit zehn Millionen oder mehr Menschen. Ein großer Teil lebt in informellen dichtbesiedelten Siedlungen. In Dharavi, Mumbais größtem Slum, leben mindestens 700.000 Menschen auf zweieinhalb Quadratkilometern. Zudem gibt es oft keinen geregelten Zugang zu Gesundheitssystemen oder fließendem Wasser. Soziale Distanz und Handhygiene ist praktisch unmöglich. Wenn die Saat nicht ausgetragen und die Ernte nicht eingeholt werden kann, dann sinkt das Angebot auf dem Markt und somit steigen die Lebensmittelpreise. Unterernährte Menschen sind Risikogruppen für alle möglichen Infektionskrankheiten. Auch in Pandemiezeiten muss das Prinzip des „do no harm“ gelten. Das heißt, mögliche negative Auswirkungen, die Maßnahmen gegen Corona auf das Leben der Menschen haben, zu verringern sowie transparent zu kommunizieren.
Die aktuelle Ausnahmesituation verleitet Regierungen zu außerordentlichen Befugnissen, um gegen politische Opposition oder zivilgesellschaftlichen Dissens vorzugehen. In Ungarn wurde das Parlament unbefristet ausgeschaltet. In Honduras drangen Sicherheitskräfte auf der Suche nach Verdachtsfällen in 240 Haushalte ein und verhafteten die Anführerin einer sozialen Bewegung. In Uganda nahmen Polizisten in Kampfmontur 23 homosexuelle Männer in Gewahrsam. Alle ursprünglichen Motive, um gegen diese Menschen vorzugehen, wurden mit dem Verweis auf dringliche Corona-Sicherheitsbedenken legitimiert.
Welchen Ansatz verfolgt Caritas international, um ihre weltweiten Partner in der Corona-Krise zu unterstützen?
In der Regel erwächst unsere Hilfe aus lokal gut verankerten und langjährigen Netzwerken. Projekte und Programme werden in Kooperation mit den örtlichen Partnern vorausgedacht, geplant und realisiert. Die Menschen vor Ort sind die Hauptakteure der eigenen Krisenbewältigung. Somit stehen sie im Zentrum unserer Arbeit. Durch aktive Partizipations- und Entscheidungsmöglichkeiten der betroffenen Bevölkerung gestaltet sich Humanitäre Hilfe relevanter sowie gerechter. Daher sehen wir auch in einer Pandemie die eigene Rolle darin, eine Begleiterin der Hilfe zu sein - also im Angebot, zu unterstützen. Wir fügen uns in lokale Maßnahmen und Lösungsansätze ein.
Auch in Zeiten der Corona-Krise verfolgen wir dieses Leitbild. Geplante und bereits stattfindende Aktivitäten werden daher nicht einfach umdefiniert, weil Corona plötzlich Priorität genießt. Vor Ort stellt sich immer die Frage der Relevanz. Wenn diese gegeben ist, passen wir Hilfsleistungen je nach den Möglichkeiten und Bedarfen an oder erarbeiten mit den Menschen vor Ort Nothilfen, die dem Kontext entsprechen.
Was kann Caritas international generell aus der Corona-Krise über die Humanitäre Hilfe lernen?
Bisher ist die vielbeschworene Apokalypse auf dem afrikanischen Kontinent durch Corona ausgeblieben. Die Staaten im Globalen Süden leiden eher unter den Auswirkungen der Maßnahmen statt durch das Virus selbst. Unterdessen verzeichnen Industrieländer die meisten infizierten Personen. Vielleicht können wir aus der Corona-Krise lernen, keine Schreckensbilder über Afrika vorzuzeichnen und stattdessen die Möglichkeiten zu sehen sowie die Zeit zu nutzen, die da ist. Kontext und Relevanz sind Schlüsselbegriffe der Humanitären Hilfe. Mit ihnen müssen wir uns ständig fragen: Auf welchen Informationen basieren unsere Annahmen? Wir müssen reden, aber zuvor zuhören.