Aus der Armut und Kälte in eine würdevolle Zukunft
Das ist das Umfeld, in dem die 15-jährige Susanna aufgewachsen ist und bis heute mit ihrer Mutter und ihren zwei Geschwistern lebt. „Als ich vier Jahre alt war,“ erinnert sich Susanna, „ist mein Vater nach Russland gegangen. Er hat dort auf dem Bau gearbeitet. Hier in Armenien konnte er keine Arbeit finden. Ich weiß noch, dass ich sehr geweint habe, als wir ihn an den Bahnhof gebracht haben und er in den Zug gestiegen ist. Meine Mutter hat mich getröstet. Sie erklärte mir, dass Papa uns Geld schicken wird, damit wir wieder genug zu essen haben und die Wohnung wieder heizen können.“ Ein schwerer Verlust für ein Kind, doch Temperaturen von bis zu 30 Grad unter Null im Winter und die prekären Wohnverhältnisse ließen der Familie keine andere Wahl.
Susannas Trost währte nicht lange
In den ersten Jahren ging der Plan auf, doch dann kam immer weniger Geld von Susannas Vater aus Russland. „Er hat auch nicht mehr angerufen. Und seit einem Jahr haben wir nichts mehr von ihm gehört: kein Geld, keine Briefe, keinen Anruf.“ Susanna blickt vorsichtig zu ihrer Mutter „Er hat keine Arbeit mehr dort, und meine Mutter sagt, dass er auch eine neue Familie dort hat. Seit Monaten kochen wir nur noch jeden zweiten Tag und doch reicht das Geld kaum, im Winter ein Zimmer für uns zu heizen.“ Vor zwei Jahren musste Susannas Mutter den alten Wohncontainer, in dem die Familie seit einem schweren Erdbeben in den 80er-Jahren wohnte, verkaufen. Sie brauchte dringend Geld für die Operation ihrer ältesten Tochter. Die wenigen Ersparnisse für „schlechte Zeiten“ sind längst aufgebraucht. Nun lebt die Familie zur Miete. Oft ist es schwer, das Geld dafür zusammen zu bekommen. Seit die Mutter auch noch an einer kranken Niere leidet und deshalb ihre Arbeit als Putzfrau aufgeben musste, hat sich die ohnehin schwierige Situation der Familie noch einmal deutlich verschärft.
Mit Little Prince kam die Hoffnung zurück
Eine staatliche Krankenversicherung gibt es in Armenien nicht. Theoretisch kommt die staatliche Gesundheitsversorgung bei schweren Erkrankungen auf, doch in der Praxis scheitert dies oft an der maroden Gesundheitsstruktur. Medikamente müssen die Patienten zudem selbst zahlen. So auch Susannas Mutter, die in einer kleinen Klinik in Gyumri behandelt wurde. Dort wurden Caritas-Mitarbeiter der „Little Prince“-Zentren auf die Frau und ihre Familie aufmerksam. Little Prince ist eine Einrichtung, die besonders benachteiligte Kinder und Jugendliche in der Region, zum Beispiel im Krankheitsfall, unterstützt. Dadurch besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen der Klinik und dem Zentrum. Inzwischen hat sich die Caritas der Familie von Susanna angenommen und unterstützt die Mutter mit den notwendigen Medikamenten und bei Arztbesuchen. Für die Mitarbeitenden des Zentrums sind derart ärmliche Familienverhältnisse keine Seltenheit. „Viele Kinder kommen völlig ausgehungert nach der Schule bei uns an“, berichtet die Projektkoordinatorin Hasmik Sargasan.
Eine warme Mahlzeit und ein neues Selbstbewusstsein
Seitdem die Familie von der Caritas unterstützt wird, ist das "Little Prince"-Zentrum für Susanna zu einer Art zweitem Zuhause geworden. "Ich kann mich noch sehr gut an meinen ersten Tag im Zentrum erinnern", erzählt Susanna. "Es war der 6. Dezember. Ich war zu der Zeit sehr traurig, mein Vater wollte uns im Sommer eigentlich besuchen. Aber er ist nicht gekommen. An diesem Tag war es sehr kalt, aber als ich ins Zentrum kam, war es dort schön warm. Ich habe mich schnell sehr wohlgefühlt." Die Kinder im Zentrum beginnen den Tag mit einem gemeinsamen Mittagessen. Da die Kinder aus sehr armen Verhältnissen kommen und Zuhause meist nur Nudel oder Kartoffeln essen, achten die Mitarbeiter darauf, dass die Mahlzeiten ausgewogen und vitaminreich sind. Beim Haushaltstraining lernen die Kinder zudem, wie man sich mit geringem Budget möglichst gesund ernähren kann. Und nicht nur das, die Kinder und Jugendlichen erhalten auch psychologische Unterstützung. Das Leben in Armut, die oft jahrelange Abwesenheit des Vaters und die mangelnden Ausbildungs- und Arbeitschancen sind für die jungen Menschen sehr belastend. Die Psychologen versuchen daher, den Jugendlichen Selbstvertrauen und soziale Kompetenzen zu vermitteln. Nur so können sie in der Ausbildung oder auf der Suche nach einem Beruf bestehen.
Susanna entdeckt eine neue Seite an sich
Nach dem Essen beginnen im "Little Prince"-Zentrum zahlreiche Workshops: Gemeinsam mit einer Schneiderin nähen die Jungen und Mädchen beispielsweise die Kostüme für ihre Theateraufführungen selbst. Theaterspielen und Zeichenworkshops sind neben dem Sportangebot wie Tischtennis, Fußball und Basketball sehr beliebt. In der Fahrrad-Werkstatt werden die Fahrräder für die Ausflüge gewartet und repariert. Doch Susanna hat ihre Leidenschaft beim Computerkurs entdeckt. "Ich war schon immer gut in Mathematik und das Arbeiten mit dem Computer fällt mir leicht. Später will ich Informatik studieren“, erzählt Susanna selbstbewusst, während ihre Mutter etwas ungläubig den Kopf schüttelt. Doch Susanna ist nicht mehr dieselbe, die sie noch vor ein paar Jahren war. "Ich weiß, dass ich es schaffen kann.“
Gemeinsam an der Zukunft bauen
Susannas Hoffnungen haben durchaus ihre Berechtigung, denn die Absolventen der Kurse genießen auch außerhalb der Zentren mittlerweile einen guten Ruf. Geschäfte in der Umgebung haben erkannt, dass die Jugendlichen eine gute Grundlage für die Arbeit in ihren Unternehmen mitbringen. Die Mitarbeiter des Zentrum halten Kontakt zu den Unternehmen, die Jugendlichen eine Chance geben und schaffen so ein Netzwerk für die Zukunft der Kinder und Jugendlichen. Zudem werden Kooperationen mit Kommunen und dem Staat auf- und ausgebaut, mit dem Ziel, sie in die Finanzierung der Zentren einzubinden. Denn wenn alle an einem Strang ziehen, haben Kinder wie Susanne trotz schwierigster Bedingungen beste Chancen auf eine besser Zukunft.
Dezember 2016