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Das Gespräch führte Stefanie Santo.
Caritas international: Frau Ministerin, Herr Müller: Sie sind beide viel auf Reisen, haben viel gesehen. Welche Erlebnisse haben Sie in Ihrer Leidenschaft für Entwicklungszusammenarbeit bestärkt?
Svenja Schulze: Als ich das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien besucht habe, konnte ich mit eigenen Augen sehen, wie entscheidend unsere Unterstützung für die Wasserversorgung dort ist. Jordanien leidet generell unter Wasserknappheit und durch die vielen syrischen Flüchtlinge wird der Bedarf natürlich noch größer. Wir konnten sicherstellen, dass die Menschen im Lager ausreichend Wasser haben, dass sie dort bleiben und dann auch - wenn es die Lage zulässt - in ihr Heimatland zurückkehren können.
Oliver Müller: Bei meinem Besuch in der Ukraine habe ich gesehen, wie wichtig die Sozialzentren sind, die wir mit Unterstützung des BMZ aufgebaut haben. Diese Zentren stehen unter enormem Druck, weil der Bedarf so groß ist. Aber es zeigt sich auch, dass es ein Glück war, dass wir bereits nach der Annexion der Krim begonnen haben, diese Strukturen zu schaffen. Heute sind die Zentren Orte der Hoffnung - für Kinder, die dort Schutz und Ruhe finden, für Menschen, die dringend psychologische Hilfe, Lebensmittel oder medizinische Unterstützung benötigen.
Caritas international: Trotzdem gibt es in Deutschland viele Menschen, die finden, dass wir uns ausschließlich um die Probleme hier kümmern sollten.
Schulze: Jeder zweite Euro, den wir in Deutschland verdienen, kommt aus dem Export. Deswegen sind wir auf die Zusammenarbeit mit anderen Ländern angewiesen. Aber es geht nicht nur um wirtschaftliche Notwendigkeiten - wir tragen auch eine Verantwortung. Wir können nicht einfach zusehen, wie Menschen in anderen Teilen der Welt verhungern.
Caritas international: Das heißt Sie sehen Entwicklungspolitik zumindest in Teilen auch als Investition in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Ist diese Nachricht nicht angekommen?
Schulze: Ich habe das Gefühl, dass momentan bei uns in der Gesellschaft der Eindruck entsteht, wir seien arm und man müsse um jeden Euro kämpfen. Dabei wird oft übersehen, dass wir durch Partnerschaften und internationale Zusammenarbeit alle profitieren. Aktuell fließen zwei Prozent des Bundeshaushalts in die Entwicklungszusammenarbeit, das sind etwas über zehn Milliarden Euro. Und das ist gut investiertes Geld. Die globalen Probleme betreffen uns alle, das hat uns die Covid-Pandemie deutlich gezeigt. Wir können uns nicht einfach in unser Schneckenhaus zurückziehen.
Caritas international: Das BMZ und die Caritas arbeiten nicht nur in der Ukraine und Jordanien zusammen, sondern auch in den Ländern der Sahelzone wie Mali. Was können Sie dort gemeinsam bewirken?
Schulze: Die Sahelregion, vor allem Mali, leidet stark unter den Folgen des Klimawandels: Es gibt weniger Regen, häufiger Dürren, und die Landwirtschaft steht vor riesigen Herausforderungen, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Dazu kommen große Armut und politische Instabilität. Man sieht das an den jüngsten Putschen in Ländern wie Mali, Burkina Faso und Niger. Eine Zusammenarbeit mit den Regierungen ist dort kaum noch möglich, weil nicht sicher ist, ob die Gelder wirklich bei den Menschen ankommen, die sie am dringendsten brauchen. Hier kommen dann Organisationen wie die Caritas ins Spiel. Sie sind direkt vor Ort und bringen Hilfe zuverlässig auch in die entlegensten Gegenden.
Müller: In Mali haben wir beispielsweise riesige Anbauflächen nutzbar gemacht und Saatgut verteilt und damit hunderte Dörfer landwirtschaftlich unterstützt, was die Ernährungssicherheit deutlich verbessert. Gleichzeitig konnten wir tausenden jungen Menschen durch Ausbildungen - als Schlosser, KFZ-Mechaniker oder Solartechniker - eine echte Zukunftsperspektive geben. Diese Maßnahmen helfen nicht nur akut gegen den Hunger, sondern sorgen langfristig dafür, dass Menschen eine Arbeit haben, sich selbst versorgen können und ihre Heimat nicht verlassen müssen.
Caritas international: Und hatten Sie Erfolg?
Schulze: Das werden wir ja häufig gefragt und gerade im Sahel können wir das klar belegen. In den Dörfern, mit denen wir bei der Ernährungssicherung zusammenarbeiten, wissen wir, dass 80 Prozent in der nächsten Krise - sei es Dürre oder Flut - keine zusätzliche Unterstützung mehr brauchen werden.
Caritas international: Aber trotzdem nochmal die Frage für all diejenigen, die Entwicklungspolitik skeptisch gegenüberstehen: Was hat Mali mit den Menschen in Deutschland zu tun?
Schulze: Die Sahelregion und insbesondere Mali ist stark von terroristischen Aktivitäten geprägt. Viele junge Männer schließen sich Terrorgruppen an, einfach nur weil es die einzige Möglichkeit für sie ist, Geld zu verdienen, die eigene Familie zu ernähren. Wenn wir es aber sind, die Perspektiven schaffen, können wir die Region stabilisieren, und das kommt am Ende auch uns zugute.
Caritas international: Herr Müller, seit Jahrzehnten stellt sich die EZ globalen Herausforderungen wie etwa der Inklusion von Menschen mit Behinderung. Trotzdem wird der Nutzen dieser Arbeit immer wieder in Frage gestellt. Herr Müller, was davon wirkt wirklich? Und ist der Erfolg messbar? Gerne an einem konkreten Beispiel.
Müller: Die Lage von Menschen mit Behinderung ist in vielen Ländern ein guter Gradmesser dafür, wie es um die Entwicklung steht. In Tadschikistan etwa haben wir gemeinsam mit dem BMZ viel erreicht. Über einen Zeitraum von neun Jahren haben wir beispielsweise Gruppen für Eltern von Kindern mit Behinderung aufgebaut, in die Frühförderung investiert und Bewusstseinsarbeit geleistet. Das hat dazu geführt, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung verändert und Tadschikistan 2018 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat. Wir haben es geschafft, unsere Arbeitsgrundlagen in die Curricula von Universitäten einzuschreiben und haben an Gesetzesvorlagen für mehr Inklusion mitgeschrieben. Wir haben nicht ganz Tadschikistan verändert, aber in einem der ärmsten Länder Zentralasiens sehr, sehr viel bewegt und vor allem wir haben eine Struktur geschaffen, die sich weiterentwickeln kann.
Caritas international: Frau Schulze, ist es dieser strukturelle Wandel, den das BMZ vor allem erreichen will?
Schulze: Ja, genau. In Südafrika haben wir durch die Unterstützung neuer Gesetze den Ausbau erneuerbarer Energien vorangebracht. Im Amazonasgebiet, speziell am Rio Tapajós, konnten wir durch Zusammenarbeit mit Schutzgebietsbehörden die Abholzung stoppen und den Regenwald besser schützen. Besonders beeindruckend ist die internationale Kooperation im Gesundheitsbereich, die zur Eindämmung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose beigetragen und letztlich 65 Millionen Menschenleben gerettet hat.
Caritas international: Frau Ministerin, die Welt ist voller Krisen und gerade jetzt hat die Bundesregierung das BMZ-Budget für 2025 auf 10,28 Milliarden Euro gekürzt. Besonders betroffen ist der Fördertopf "Übergangshilfen", der hunderttausenden Menschen während und nach Krisen das Überleben sichern.
Schulze: Wir müssen sparen, da brauchen wir nicht drumherum reden. Aber mit einem Etat über zehn Milliarden Euro bleiben wir einer der größten Geber weltweit. Viele unserer Mittel sind langfristig gebunden, etwa für den Ausbau von Gesundheitsstationen. Und diese werden wir weiterhin zuverlässig finanzieren. Bitter ist, dass uns Geld fehlen wird, um auf akute Krisen wie Dürren oder Fluchtbewegungen zu reagieren. Hier müssen wir verstärkt auf zusätzliche Mittel vom Bundesministerium für Finanzen (BMF) setzen, wie zuletzt bei der Winterhilfe in der Ukraine oder der Unterstützung für den Libanon. Aber klar ist auch: Öffentliches Geld allein reicht nicht aus. Wir brauchen dringend mehr privates Engagement, um Klimawandel, Armut und Hunger wirksam zu bekämpfen.
Caritas international: Herr Müller, welche Folgen haben die Kürzungen ganz konkret auf die Menschen vor Ort und die Arbeit von Caritas international und ihren Partnern?
Müller: Einen großen Teil unserer Arbeit können wir mit der Unterstützung unserer rund 228.000 Spenderinnen und Spender stemmen, wofür wir sehr, sehr dankbar sind. Öffentliche Gelder geben uns darüber hinaus die Möglichkeit in Krisenländern tätig zu werden, für die sich nur schwer Spenden einwerben lassen, wie z.B. Mali oder Burkina Faso. Das hat zum einen damit zu tun, dass es sich um Länder mit langjährigen, chronifizierten Krisen handelt, zum anderen damit, dass sie in der medialen Berichterstattung kaum vorkommen. Für diese Länder wird uns nun Geld fehlen. In Mali hatten wir zum Beispiel geplant, weitere 250 Hektar Anbaufläche zu erschließen, damit rund 1.000 Familien sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgen können. Das wird wahrscheinlich nicht mehr möglich sein.
Caritas international: Stellen Sie sich vor es gäbe keinerlei Budgetbeschränkungen. Welches Herzensthema würden Sie sofort angehen?
Schulze: Mein größter Wunsch ist es, dass alle Kinder weltweit - besonders Mädchen - die Chance haben, zur Schule zu gehen. Bildung ist der Schlüssel, damit sich Länder weiterentwickeln können. Wenn Kinder lesen, schreiben und rechnen lernen, öffnet sich für sie die Tür zu einem aktiven Leben in der Gesellschaft und zur Möglichkeit, eines Tages ihr eigenes Geld zu verdienen. Besonders für Mädchen ist es so wichtig, dass sie die Kontrolle über ihre Zukunft übernehmen und selbstbestimmt Entscheidungen treffen können.
Müller: Ich muss da an die unfassbar schwere Lage von Frauen und Mädchen in Afghanistan denken. Ohne unser Projekt im Großraum Kabul hätten viele von ihnen keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten, Hebammen leisten Unglaubliches und stehen den oft noch sehr jungen Müttern bei. In Zeiten der weitgehenden Isolierung von Frauen in Afghanistan sind derartige Programme besonders wertvoll. Länder wie Afghanistan drohen langsam aus unserm Blickfeld zu verschwinden. Mir ist es wichtig, dass wir Menschen dort nicht vergessen.