Not too hard to reach: Den Folgen des Boko-Haram-Terrors in Nigeria trotzen
Amos Arubi und Lukas Müller
Koordinatoren der Hilfsprojekte in Nigeria
15. August 2023 / Lesedauer: 4 Minuten
Yafanna Babagana und ihre Familie haben zumindest eine Ahnung, was außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung geschieht. "Ich weiß, dass es in der Nähe einige bewaffnete Gruppen gibt, die uns manchmal bedrohen, aber wir kennen ihre Namen nicht. Manchmal kommen sie, um Geld oder Lebensmittel zu holen, und dann gehen sie wieder weg."
Wir befinden uns in einem Dorf namens Shehuri, etwa eine Autostunde von der Regionalhauptstadt Maiduguri entfernt. Die letzten fünfzehn Minuten der Autofahrt führen über eine unbefestigte Schotterpiste. Nordostnigeria ist größtenteils flach und landwirtschaftlich geprägt. Wir sind überrascht, als wir Shehuri erreichen: während der Regenzeit ist das Dorf vollständig von hohem Schilf umgeben. Wenn man hier unterwegs ist, versteht man, warum einige Einheimische diese Gegend schlicht "den Busch" nennen.
Die Bevölkerung hat nur eine vage Vorstellung der politischen Absichten der Gruppen, die sich in der Nähe ihres Dorfes aufhalten. Dennoch sind diese international bekannt: Boko Haram (Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'adati wal-Jihad) und Islamischer Staat Westafrika Provinz kämpfen im Umland gegen die nigerianischen Regierungstruppen. Die Terrormilizen sind sogar im Alltag präsenter als die Regierung – es gibt seit über zehn Jahren keine funktionierenden Schulen und Krankenhäuser in der Region, auch andere staatliche Dienstleistungen werden nicht mehr angeboten. Selbst die Wasserquellen sind seit Jahren nicht mehr in Betrieb, längst beschädigt von plündernden Terroristen oder Kriminellen. Shehuri liegt in einer Gegend, die von den staatlichen Stellen gar nicht mehr beachtet wird – sie wagen sich nicht in Gebiete, die von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden. Dies trifft auf große Teile des Bundesstaats Borno zu: Schätzungsweise geht es über einer Million Menschen so wie Yafanna Babagana.
Abgeschnitten von der Außenwelt
"Seit vielen Jahren kommt niemand mehr zu uns. Manchmal fahren wir in die Städte und erzählen den Leuten von der Situation hier in Shehuri, aber das interessiert sie nicht", berichtet Yafanna Babagana. Die Menschen in Shehuri sind der humanitären Krise in der Tschadseeregion in vollem Umfang ausgesetzt. Sowohl das Militär, als auch terroristische Gruppen durchstreifen das Gebiet und schränken den Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen für die lokale Bevölkerung ein. Regelmäßig geschehen auch Übergriffe, darüber wird aber weniger offen geredet – viele Menschen im Dorf schämen sich für die sexuellen Übergriffe, denen Frauen und Kindern hier schon zum Opfer gefallen sind. Hinzu kommen die unbeständigen klimatischen Bedingungen, die regelmäßig zu extremen Wetterereignissen wie Dürren und Überschwemmungen führen. Selbst in guten Jahren kann die Bevölkerung nur für acht von zwölf Monaten im Jahr genügend Nahrungsmittel produzieren. Zudem ist die Gemeinde vom lokalen Transport abgeschnitten. "Wenn jemand in unserer Gemeinde krank wird, muss er erst in die nächste Stadt fahren, um einen Transport für die Person zu organisieren, denn hier fahren selten Fahrzeuge vorbei", sagt Ari Wakil, der sich unserer Diskussion angeschlossen hat.
Nach unserem ersten Besuch in Shehuri sprachen wir mit Kolleg_innen anderer humanitärer Organisationen über die Situation vor Ort. Wir waren überrascht, als wir erfuhren, dass die meisten Organisationen nicht bereit waren, in diesem Gebiet zu arbeiten, und dies mit der Entfernung zwischen der regionalen Hauptstadt Maiduguri und Shehuri sowie der Nähe zu bewaffneten Gruppen begründeten. Damals beschlossen wir, dass wir einen Weg finden müssen, um die Gemeinde zu unterstützen, die seit fast zehn Jahren keine humanitäre Hilfe mehr erhalten hat.
Wasser für Menschen und Tiere
Zehn Monate später verfügt Shehuri über eine neue Wasserstelle, die 330 Meter in die Tiefe reicht. Die Bohrung dauerte mehrere Wochen, da die geologischen Bedingungen in der Umgebung schwierig sind und es herausfordernd war, eine zuverlässige Wasserquelle zu finden. Die Wasserstelle hat in der Gemeinde für großen Jubel gesorgt. "Das ist das erste Mal, dass wir in Shehuri eine Wasserquelle haben", sagt Bulama Modu Ali, der Dorfvorsteher in Shehuri. "Seitdem die Wasserquelle eingerichtet wurde, werden die Menschen hier nicht mehr so häufig krank und wir haben mehr Wasser, um unsere Kinder und unsere Kleidung zu waschen." Die Wasserstelle liefert täglich genug Wasser für mehr als 2.000 Menschen und Hunderte von Tieren, die ihr Wasser aus einem separaten Becken trinken. Als die Menschen aus den Nachbardörfern davon hörten, reisten sie bis zu 20 Kilometer weit, um die neue Wasserstelle in Shehuri zu sehen. Viele von ihnen hatten in den letzten fünf Jahren nur Oberflächenwasser getrunken.
In Verbindung mit der Wasserstelle haben die Partnerorganisationen der Caritas den Dorfbewohner_innen in den Monaten, in denen ihnen die Lebensmittel auf ihren Höfen ausgehen, Bargeld zur Verfügung gestellt, mit dem sie zum Markt in Maiduguri fahren können, um Mais, Öl und manchmal sogar Bohnen oder Zwiebeln zu kaufen. "Wenn wir jetzt außerhalb von Shehuri unterwegs sind, reden wir nicht mehr nur darüber, wie schlimm die Lage ist, sondern darüber, wie sehr sie sich verbessert hat", sagt Yafanna Babagana.
Der Bedarf in Shehuri ist nach wie vor groß und es besteht wenig Hoffnung, dass sich die unsichere Ernährungslage verbessert, solange der bewaffnete Konflikt im Nordosten Nigerias andauert. Doch mit ein wenig Unterstützung wurden in diesem kleinen Dorf, von dem die meisten Menschen eine Stunde entfernt noch nie etwas gehört haben, bedeutende Fortschritte erzielt.
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