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Ein Beitrag von Kilian Linder
Referent für Bolivien, Peru und Kuba bei Caritas international.
22. Oktober 2024 / Lesedauer: 6 Minuten
Caritas Bolivien hat mich vor kurzem überrascht. Unsere Partnerorganisation hat jüngst in einem Video die Bevölkerung dazu aufgerufen, für Opfer der verheerenden Waldbrände im Amazonasgebiet zu spenden. In dem Spendenaufruf geht es aber nicht nur um die menschlichen Bewohner und Bewohnerinnen, die Haus und Hof verloren haben, sondern auch um die Blaukehlaras, eine große bolivianische Papageienart mit nur noch circa 300 Exemplaren, die durch die Waldbrände vom Aussterben bedroht ist. Das hat mir wieder deutlich gemacht: Es geht bei humanitärer Hilfe, dem Kernauftrag von Caritas international, schon lange nicht mehr nur um das Lindern menschlichen Leids, sondern um den Schutz allen Lebens - um die "Sorge für das gemeinsame Haus", wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Si' schrieb.
Alle Jahre wieder steht im November die Weltklimakonferenz an. Die 29. Konferenz der Vertragspartner des Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen seit 1992 findet dieses Jahr in Baku, der Hauptstadt der kleinen vorderasiatischen Republik Aserbaidschan, statt. Doch Klimakonferenzen sind keine Rockkonzerte. Sie leiden unter dem Vorwurf, zu zäh, zu langsam und ohne größere Wirkung zu sein. Nur wenige Expert_innen können nach einem Jahr noch sagen, über was im Vorjahr verhandelt wurde.
Die Themen der Klimakonferenz brauchen mehr Aufmerksamkeit - die Zeit rennt
Auch das Programm der COP29 klingt sehr technokratisch. Es geht um die Umsetzung oder Erhöhung von Klimaschutzbeiträgen (Nationally Determined Contributions), vor allem aber um ein neues Klimafinanzierungsziel (New Collective Quantified Goal on Climate Finance). Das klingt nach Exceltabellen, Finanzmathemathik und Haushaltsverhandlungen. Aserbaidschan ist ein autoritärer Ölstaat, in dem die Meinungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt ist. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Caritas sind dort nicht gern gesehen. Kein Wunder, dass das öffentliche Interesse bisher überschaubar ist.
Das sollte nicht so sein! Denn die Zeit drängt. Dass wir jetzt handeln müssen, zeigt sich beispielsweise im Amazonasregenwald. In Brasilien, Bolivien, Peru, Kolumbien und Ecuador sind die Wälder in diesem Jahr so trocken wie schon lange nicht mehr. Über 20 Millionen Hektar sind abgebrannt.
Satellitendaten des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus zeigen, dass 2024 das Amazonasgebiet die Erdregion mit dem höchsten CO2-Ausstoß ist. Wochenlang gab es Gesundheitswarnungen in lateinamerikanischen Großstädten wie Bogotá und Santa Cruz, weil die Atemluft voller Ruß und Qualm war. Die grüne Lunge des Planeten wird immer mehr zur Raucherlunge.
Brände im Amazonas sind keine Ausnahme mehr - Caritas bildet Brandhelfer aus
In der bolivianischen Yungasregion engagiert sich Caritas international gemeinsam mit der lokalen Caritas, Umweltorganisationen, lokalen Behörden und Feuerwehren und schult Menschen in Waldbrandschutz. Ehrenamtliche Helfer werden darin ausgebildet, schnell Alarm zu schlagen, Glutnester zu löschen, und bewegungseingeschränkte Mitbürger_innen zu evakuieren. Diese Vorbereitung wird viele Leben retten.
Denn Brände im Amazonasregenwald sind keine Ausnahmeerscheinung mehr. Sie entstehen jedes Jahr aufs Neue und werden immer massiver. Das liegt auch dran, dass die Brände bewusst gelegt werden, um neue Agrarflächen - oft für den Export von Tierfutter - zu schaffen. Aufgrund der zunehmenden Hitze und Trockenheit geraten diese menschengemachten Brände regelmäßig außer Kontrolle. Es ist also nicht nur der Klimawandel, sondern auch der Rohstoffhunger des Globalen Nordens nach Rindfleisch, Soja (für Schweinefutter, nicht für Tofu), Edelhölzern, Gold und anderen Bodenschätzen, der die Entwaldung Amazoniens vorantreibt und Menschenleben bedroht.
Naturkatastrophen werden oft auch durch menschliches Fehlverhalten befeuert
Das Beispiel zeigt: Wetterextreme werden meist durch menschliches Fehlverhalten zu Naturkatastrophen. Nicht nur, weil sie - wie im Amazonasregenwald - die Krise wortwörtlich befeuern, sondern auch, weil beispielsweise Regierungen nicht in die Nothilfe und Katastrophenvorsorge investieren - oder es nicht können, weil die Kassen leer sind.
Schwenk an das andere Ende der Welt. In Nepal hat es im September mal wieder zu viel geregnet. 193 Menschen sind durch Überschwemmungen und Erdrutsche ums Leben gekommen. Die Hauptstadt Kathmandu war eine ganze Woche von der Außenwelt abgeschnitten. Caritas international und ist auch hier, gemeinsam mit Caritas Nepal, in der Katastrophenvorsorge tätig. Mit Frühwarnsystemen, Schulungen für Gemeindemitglieder, mit Evakuierungsübungen und dem Bau von flut- und erdbebensicheren Häusern versuchen wir, die drastischen Folgen von Naturgewalten abzumildern.
Eigentlich wären genau das die Aufgaben der nepalesischen Regierung. Doch die ist jetzt schon am Finanzierungslimit. Es hat in den vergangenen Jahren so viele Katastrophen in der Region gegeben - neben dem großen Erdbeben von 2015 auch Überschwemmungen, Erdrutsche, Gletscherschmelzen, Dürren, Waldbrände -, sodass das Geld im Staatshaushalt schon so gut wie aufgebraucht ist. Dieses Geld, das Staaten für Katastrophenhilfe ausgeben müssen, fehlt in einem armen Land wie Nepal für Bildung, Krankenhäuser und Wirtschaftsförderung - kurz: für die Entwicklung der Menschen.
Deswegen ist es Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft, die Länder, die stark vom Klimawandel betroffen sind, finanziell zu unterstützen. Vor allem die Industrienationen, die historisch betrachtet für einen Großteil des schädlichen CO2-Ausstoßes verantwortlich sind, sind angehalten, den ärmeren Ländern bei der Bewältigung der Katastrophen unter die Arme zu greifen. Das ist nicht nur gerecht, sondern auch langfristig betrachtet sinnvoll. Denn angesichts der Erderwärmung ist klar, dass klimabedingte Katastrophen überall zunehmen werden. Das heißt, es wird viel teurer werden, wenn wir nicht jetzt handeln!
Deutschland kann Schlüsselrolle bei der Debatte um Klimafinanzierung einnehmen
Auch wenn Deutschland schon seit langem mehr nicht der "Klimaweltmeister" ist, als der es sich gerne selbst sieht, kommt der deutschen Delegation auf Klimakonferenzen weiterhin eine Schlüsselrolle zu. Letztes Jahr hat Deutschland beispielsweise die ersten 100 Millionen Euro in den "Loss & Damage"-Fund versprochen und andere Staaten sind nachgezogen. Der Loss & Damage- Fund entschädigt Länder, die durch den Klimawandel unwiederbringliche Schäden und Verluste erlitten haben - beispielsweise küstennahe Dörfer räumen müssen, weil der Wasserpegel so stark angestiegen ist. Diese, oftmals ärmeren Länder leiden härter unter den Folgen des Klimawandels, obwohl sie weniger dazu beigetragen haben.
Ja, Klimafinanzierung mag technisch klingen. Aber im Kern geht es eben um Gerechtigkeit - und die kann nur gemeinsam erreicht werden. Neben der Unterstützung von Ländern, die bereits schwere Schäden durch den Klimawandel erlitten haben, muss die internationale Staatengemeinschaft finanzielle Mittel aufbringen, um auch dafür zu sorgen, dass die schädlichen Treibhausgas-Emissionen weltweit zurückgehen. Außerdem brauchen viele Länder und ihre Bewohner_innen finanzielle Unterstützung, um ihr Leben an die härteren, klimatischen Bedingungen anzupassen.
Für eine gerechte Klimafinanzierung mit diesen drei Schwerpunkten (Entschädigung, Treibhausgas-Minderung und Anpassung) sind nicht nur verbindliche globale Strukturen, sondern auch viel mehr Geld nötig. Die Kosten werden schon jetzt auf 1 Billionen USD geschätzt. Es sind aber gerade mal 100 Milliarden pro Jahr von den Industrienationen zugesagt. Hinzu kommt: Die Kosten für die Klimafinanzierung werden aus Steuermitteln allein nicht stemmbar sein. Deswegen brauchen auch privatwirtschaftliche Akteure verlässliche Strukturen und motivierende Rahmenbedingungen, um ihr Engagement für Klimaschutz und - Anpassung auch international auszubauen.
Die Kernforderungen von Caritas international
In Hinblick auf die COP unterstützt Caritas international daher die Forderungen von VENRO (dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe) und der Klima Allianz Deutschland. Gemeinsam fordern wir die deutsche Bundesregierung auf, sich weiterhin und mit noch mehr finanziellen Mitteln als bisher an der Klimafinanzierung zu beteiligen. Konkret fordert VENRO Investitionen von acht bis zehn Milliarden Euro pro Jahr. Denn erst dann würde sich die Klimapolitik der Bundesregierung an dem völkerrechtlich vereinbarten Abkommen von Paris orientieren.
Als humanitäres Hilfswerk fordert Caritas international darüber hinaus den Umstieg von fossilen Energieträgern hin zur klimaneutralen Weltwirtschaft sowie den massiven Ausbau der Katastrophenvorsorge. Denn Vorsorge rettet Leben und kommt im Zweifelsfall viel günstiger als jene Kosten, die durch zerstörte Infrastruktur, zerstörte Lebensgrundlagen und menschliches Leid entstehen. Auch setzen wir uns für einen Umbau der weltweiten Landwirtschaft ein. Bisher ist diese auf die Ausbeutung der Böden ausgelegt. Vielmehr sollte es aber auch bei der Landwirtschaft darum gehen, die Artenvielfalt als Grundlage menschlichen Lebens zu bewahren.
Diese Trendwende wäre gerecht - für die Menschen im Globalen Süden, für zukünftige Generationen und auch für die Blaukehlaras - die bedrohte Papageienart in Bolivien, für deren Erhalt die Caritas Bolivien, neben all ihren Bemühen Menschenleben zu retten, ebenfalls kämpft.