Ein Beitrag von Julia Gietmann
Referatsleiterin für Asien & Europa bei Caritas international
13. März 2023 / Lesedauer: 1 Minute
Caritas international: Frau Gietmann, wir möchten in diesem Interview speziell die Rolle der Frau bei unserer Arbeit in den Blick nehmen. Braucht es das noch im Jahr 2023?
Julia Gietmann: Auf jeden Fall. Beim jetzigen Tempo wird es noch 268 Jahre dauern, bis Frauen weltweit rechtlich gleichgestellt sind, sagt ein Bericht von UN-Women, der Frauenrechtsorganisation der Vereinten Nationen. Da haben wir noch einige Ausgaben vor uns. Bis es so weit ist, wollen wir immer wieder zeigen, was unsere Kolleginnen und Frauen weltweit Enormes leisten und womit sie auch im Jahr 2023 immer noch zu kämpfen haben.
In unserem kürzlich erschienen Spendermagazin titelten wir: "Not ist weiblich. Tatkraft auch." Warum dieser Titel?
Gietmann: Der Titel spiegelt wider, dass Frauen in allen Ländern dieser Welt Familien und Gesellschaften zusammenhalten und voranbringen, dass sie einen großen Teil der Arbeit leisten und Zukunft gestalten. Gleichzeitig sind sie überdurchschnittlich von extremer Armut betroffen, werden vielfach diskriminiert, ausgebeutet und misshandelt.
Brauchen Frauen andere Humanitäre Hilfe als Männer?
Gietmann: Absolut, aber leider wird das nicht immer berücksichtigt. Das hat auch damit zu tun, dass selbst in humanitären Hilfsorganisationen die Entscheidungsträger immer noch meist männlich sind. Es fehlt dann der weibliche Blick. Ein ganz einfaches Beispiel: Nach Naturkatastrophen oder in Flüchtlingslagern verteilen Hilfsorganisationen oft Hygiene-Kits, also Pakete mit Zahnpasta, Zahnbürsten, Seife, Shampoo, usw. Was aber immer wieder fehlt, sind Monatsbinden für Frauen und Mädchen. Warum? Weil Menstruation für Männer kein Thema ist. Es geht aber nicht nur um das Was, sondern auch das Wie der Hilfen. Bei Verteilungen achten wir genau darauf, dass Frauen ihre Hilfspakete von Frauen bekommen, einfach um vorzubeugen, dass männliche Helfer als Gegenleistung Sex einfordern. Das passiert zwar selten, kommt aber vor.
Frauen wissen am besten, was gut für Frauen ist?
Gietmann: Ja, weil wir viele Erfahrungen teilen. Und am allerbesten wissen Frauen in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt selbst, was sie brauchen. Deshalb müssen sie an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt sein, auch in der Humanitären Hilfe. Ich denke da zum Beispiel an das Rohingya-Flüchtlingslager in Bangladesch - ein Eldorado für Menschenhändler. Damit Frauen und Mädchen sich zumindest einigermaßen sicher fühlen können, muss ihre Stimme gehört werden! Wie werden die Wege beleuchtet? Wie weit darf die nächste Toilette von der Wohnhütte entfernt sein? Wie können sichere Rückzugsräume für Kinder aussehen? Um diese Fragen zu beantworten und Veränderung voranzutreiben, braucht es Frauen.
Gibt es Frauen, die Sie besonders beeindruckt haben?
Gietmann: Ich habe viele beeindruckende Kolleginnen kennengelernt - in Indien, in Myanmar, in Afghanistan, in der Ukraine, einfach überall. Ihre fachliche Kompetenz, ihre Bereitschaft, die Menschen, für die sie arbeiten, in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen, trotz aller Widerstände nicht mürbe zu werden, nicht aufzugeben - all das bewundere ich sehr. Und natürlich ihren Mut. In manchen Regionen dieser Welt bedeutet es für Frauen ein großes Risiko, für Benachteiligte Partei zu ergreifen und sich kritisch gegenüber den Herrschenden zu äußern. Das wird als Hinterfragen männlicher Machtstrukturen gedeutet - und bestraft. Das sind dicke Bretter, die wir bohren müssen. Aber wir bleiben dran.
Dieses Interview erschien erstmals im Spendermagazin 01/2023 im März 2023.
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