Happy schnürt den Gürtel ihres weißen Kimonos fester. Ihr Karatelehrer möchte, dass sie eine Übung vormacht. Der Blick der jungen Frau ist entschlossen, sie spannt sich an, führt den ersten Schlag aus, schreit. Schritt zurück, dann der nächste präzise Schlag. Der Lehrer ist zufrieden. Happy ist eine Vorzeigeschülerin. Der Karatekurs gibt ihr Kraft und Selbstvertrauen. Beides hatte sie verloren.
Happy stammt aus der Hafenstadt Tanga, etwa 340 Kilometer nördlich der Millionenstadt Daressalam in Tansania. Ihre Eltern leben getrennt. Ihren Vater kennt sie kaum. Die Mutter schickte sie auf ein Internat, doch als der Vater eines Tages aufhörte, Unterhalt zu zahlen, konnte Happys Mutter die Schulgebühren nicht mehr aufbringen. Sie machte Schulden. Happy musste ihre Ausbildung abrechen, bekam kein Abschlusszeugnis. Die inzwischen 18-Jährige spricht fließend Englisch, liest Zeitungen, Bücher und schreibt Geschichten. Auf dem Papier hat sie jedoch nur die Grundschule besucht. Happy war verzweifelt, hatte sich schon aufgegeben, doch dann trifft sie eine Streetworkerin der Daughters of Mary Immaculate - kurz DMI.
Die DMI-Schwestern sind Ordensfrauen aus Indien. Sie betreiben Hilfsprojekte in den ärmsten Ländern der Welt und kümmern sich um Menschen, um die sich sonst keiner kümmert. In Tansania helfen die DMI-Schwestern Straßenmädchen und weiblichen Opfern von Menschenhandel. Caritas international unterstützt sie dabei seit Jahren. Die mutigen Nonnen befreien junge Frauen aus den sklavenähnlichen Verhältnissen, in denen sie oft leben und arbeiten müssen und geben ihnen ein neues Zuhause auf Zeit.
Befreit und aufgefangen durch indische Ordensschwestern
Tansania hat ein Problem mit Menschenhandel. Es kommt öfters vor, dass Mädchen wie Happy, die verzweifelt sind und von einem besseren Leben träumen, unter falschen Versprechen vom Land in die Großstädte gelockt werden. Mittelsmänner oder entfernte Verwandte stellen den jungen Frauen einen Job oder eine Ausbildung in Aussicht, stattdessen werden sie ausbeutet. Die minderjährigen Mädchen arbeiten für einen Hungerlohn als Haushaltshilfen, Kindermädchen oder - so war es bei Happy - bis spät nachts in einer Bar. Viele von ihnen werden sexuell missbraucht. Im Reha-Zentrum der DMI-Schwestern können ihre Wunden verheilen. So gut, wie es nach solch schrecklichen Erfahrungen eben möglich ist.
Das Reha-Zentrum "Quelle der Hoffnung" ist eine Oase. Abgeschirmt durch dicke Mauern, erstreckt sich der von Palmen gesäumte Campus, auf dem derzeit 48 Bewohnerinnen im Alter von 13 bis 21 Jahren leben. Es gibt einen Gemüsegarten, wo die jungen Frauen ihre Nahrungsmittel selbst anbauen, Viehställe, wo eines der Massai-Mädchen die Ziegen hütet, eine große Küche, in der auch Kochkurse abgehalten werden, Klassenzimmer und Schlafräume. Die Häuser, in denen die Bewohnerinnen leben und lernen, sind in dem gleichen Hellrosa gehalten wie die Kutten der DMI-Schwestern.
Schwester Fatima ist die Leiterin des Reha-Zentrums. Die kleine Ordensfrau hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Sie strahlt Ruhe aus, Geborgenheit. Auch dann, wenn sie von schrecklichen Schicksalen erzählt. "Viele der Mädchen, die zu uns kommen, sind körperlich und seelisch schwer verletzt", berichtet Fatima. "Sie brauchen viel Zeit, um sich zu öffnen, weil sie niemandem mehr vertrauen." Die Schwester erzählt von Kindern und jungen Frauen, die Monate lang auf der Straße gelebt, in Bushäuschen geschlafen haben und mehrfach vergewaltigt wurden, bevor sie den Weg zu den DMI-Schwestern fanden. Einige von ihnen würden monatelang nicht sprechen, weil das, was sie erlebt haben, nicht in Worte zu fassen sei, so die Schwester.
Manchmal werden die Straßenmädchen auch von der Polizei zu den DMI-Schwestern gebracht. Die tansanische Regierung hat sich zwar dem Kampf gegen den Menschenhandel verschrieben, doch es fehlen die Ressourcen, um sich um die Opfer zu kümmern. Diese Aufgabe übernehmen dann Hilfsorganisationen wie die DMI-Schwestern, die dabei von Caritas international unterstützt werden.
Bildung und psychologischer Support rund um die Uhr
Fast jedes dritte Mädchen kehrt mithilfe der DMI-Schwestern schon nach wenigen Wochen freiwillig nachhause zurück. Die anderen, die nicht zurück zu ihren Familien aufs Land wollen, ziehen in das Zentrum der Nonnen. Während des einjährigen Reha-Programms erhalten sie psychologische Betreuung, Persönlichkeitscoachings und eine berufliche Weiterbildung. Sie können zwischen Kosmetik-, Schneider- und Computerkursen wählen. Eine Gruppe von Schwestern und zwei Sozialarbeiterinnen sind Tag und Nacht für die Bewohnerinnen ansprechbar.
"Unser größtes Ziel ist es, den Mädchen ihr Selbstbewusstsein und das Vertrauen in ihre Fähigkeiten zurückzugeben", sagt Schwester Fatima. "Aus gebrochenen Kindern, sollen unabhängige und starke Frauen werden." Ein Vorhaben, das oft aufgeht. Einige der ehemaligen Schützlinge der DMI-Nonnen arbeiten heute im öffentlichen Dienst oder haben ihre eigenen kleinen Geschäfte.
Über den Campus des Reha-Zentrums wehen gedämpfte Gesänge. Einige der Mädchen beten. Happy hingegen sitzt vor dem Monitor und tippt. Sie ist schon weiter als die anderen im Computerkurs. Während sie gerade den Umgang mit der Tastatur lernen, schreibt Happy bereits an ihrem Lebenslauf. Im Juni wird sie das Reha-Zentrum und die DMI-Schwestern verlassen, deshalb bereitet sich auf die Jobsuche vor. Die 18-Jährige träumt von einem Leben als Journalistin.
Mit ihren Kenntnissen aus dem Zentrum möchte Happy erstmal Geld verdienen - genug, um ihre Ausbildung abzuschließen. Wenn sie mit der Schule fertig ist, möchte Happy studieren und Artikel schreiben. Eines Tages vielleicht sogar ein Buch über ihre eigene Lebensgeschichte veröffentlichen. Sie möchte der Welt erzählen, was verarmte, junge Frauen in Tansania ertragen müssen - und wie man ihnen helfen kann.
Teile dieses Projektes werden mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschafte Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.