Bangladesch: Netzwerke für Straßenkinder
Der Tag von Boishakhi Arashanus beginnt mit dem ersten Sonnenlicht. Sie muss schnell sein, um als erste die wertvollen Abfälle sammeln zu können, die andere Menschen über Nacht weggeworfen haben. Boishakhi ist Müllsammlerin. Jeden Morgen läuft die Zwölfjährige durch die erwachenden Straßen Dhakas und durchwühlt Abfallberge, die sich an den Straßenrändern türmen. Viel lieber würde sie in die Schule gehen, aber dafür fehlt das Geld. Mit dem Erlös aus dem Müllsammeln muss sie ihre Mutter und die kleine Schwester unterstützen, die in dem Slum von Dhaka in einer kleinen Wellblechhütte leben.
Bangladesch zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Städte, in der Hoffnung, dort wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. Doch auch in der Stadt müssen sie oft unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben: in Slums oder auf der Straße. Aktuelle Schätzungen gehen von 1,5 Millionen Kindern aus, die in Bangladesch auf der Straße leben. Eltern schicken ihre Kinder aus der Not heraus zum Arbeiten, weil sie sonst die Familie nicht ernähren könnten. Die Kinder sammeln Müll, verkaufen Blumen und Tempotaschentücher oder verdingen sich im kleinkriminellen Milieu. Die Gebühren für die Schule könnten ihre Eltern nicht bezahlen. Doch ohne Schulbildung sieht es für die Kinder und Jugendlichen schlecht aus, später einmal aus der Armutsfalle herauszukommen.
Die Straßenkinder in den Slums leiden oft an Krankheiten, weil sie sich nicht waschen können und zu wenige oder verunreinigte Nahrungsmittel zu sich nehmen. Sie kennen kein stabiles, gewaltfreies Familienleben mit emotionaler Zuwendung und Zugang zu Bildungsmöglichkeiten. Sie leben am Rand der Gesellschaft, werden stigmatisiert, häufig kriminalisiert, unterdrückt und ausgebeutet. Viele leiden unter psychischen Problemen.
Die Caritas Bangladesch kümmert sich - unterstützt von Caritas international und mit Spenden aus Deutschland - seit vielen Jahren um die Straßenkinder. Die Caritas betreibt in den Slums sogenannte Drop-in-Zentren. Das sind offene Gemeinschaftsräume, in denen sich die Straßenkinder waschen, ausruhen und sie etwas essen können. Jeder und jede kann kommen. Die Kinder werden medizinisch und psychologisch grundversorgt und lernen etwas über Körperhygiene. Es gibt auch Übernachtungsmöglichkeiten für Notfälle. Die Zentren sind Orte der Ruhe und Sicherheit, wo niemand die Kinder beschimpft, verscheucht oder misshandelt.
Auch Boishakhi, die zwölfjährige Müllsammlerin, kommt regelmäßig in das Drop-in-Zentrum in Dhaka. Dort trifft sie Freund_innen. Sie lernen gemeinsam, tanzen und spielen. Inzwischen hat das Caritas-Zentrum einen festen Platz in Boishakhis täglicher Routine. "Es fühlt sich fast ein bisschen an, wie zur Schule zu gehen", sagt sie und lächelt. Inzwischen kann Boishakhi das englische und das bangladeschische Alphabet. Geduldig spricht sie alle Buchstaben nach, als sie die Wörter an die Tafel schreibt. Dann ist Mittagszeit. Es wird ruhig im Speiseraum des Caritas-Zentrums, als Reis mit Gemüse-Curry aufgetischt wird. Es ist wahrscheinlich die einzige sättigende Mahlzeit, die Boishakhi und ihre Freund_innen heute bekommen werden.
Die Caritas Bangladesch setzt sich auch über die Zentren hinaus für die Rechte und Chancen von Straßenkindern und Jugendlichen ein: durch den Aufbau und die Vernetzung von Kinderrechtekomitees, die gegenüber staatlichen Stellen die Belange von Straßenkindern einfordern, sowie mit Bildungsprogrammen und Aufklärungskampagnen. Die Hilfe ist nicht auf Dhaka beschränkt, sondern findet auch in anderen Slums statt, beispielsweise in Mymensingh und Rajshahi. Die Hilfe erreicht fast 9000 Menschen in Not.