Wir können alle etwas tun!
BENJAMIN PÜTTER: Mehr als achtzig Mal ist B. Pütter nach Indien gereist, um Kinderarbeit zu dokumentieren und politischen Druck aufzubauen, um sie zu beenden. Der Kinderrechtsexperte berät Caritas international und ihre Partner.
Herr Pütter, meine Großmutter kannte noch "Kartoffelferien": War es nicht auch in Deutschland lange normal, dass Kinder arbeiten?
BENJAMIN PÜTTER: Von älteren Menschen höre ich immer mal wieder die Bemerkung: "Ich habe doch als Kind auch auf dem Feld mitgearbeitet und es hat mir nicht geschadet." Aber dann frage ich nach: "Sie haben also nie eine Schule besucht und nicht schreiben, lesen und rechnen gelernt?" Dann kommt eigentlich immer die Antwort: "Natürlich war ich in der Schule". Und eben da liegt der Unterschied. In der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist Kinderarbeit jegliche Arbeit von Minderjährigen, die negative Folgen für ihre geistige, soziale und gesundheitliche Entwicklung hat und ihre Grundrechte auf Bildung, Gesundheit, Schutz und Beteiligung verletzt.
Was hat Kinderarbeit mit mir als deutscher Verbraucher_in zu tun?
PÜTTER: Kinderarbeit steckt in vielen Alltagsprodukten wie zum Beispiel Tee, Kaffee oder Schokolade: Da stehe ich als Verbraucher_in vor der Entscheidung: Kaufe ich nun das konventionelle Produkt oder achte ich auf ein Fairtrade-Siegel? Genauso bei Bananen. Dafür muss ich nicht einmal einen Eine-Welt- oder Bioladen aufsuchen, gesiegelte Bananen gibt es mittlerweile in jedem Supermarkt. Und auch mehr als die Hälfte der Grabsteine in Deutschland stammen aus Indien, häufig hergestellt durch Kinderarbeit. Da hilft es, Natursteine zu kaufen, die zertifiziert sind, zum Beispiel durch XertifiX.
Foto: Benjamin Pütter / Caritas international
Bleiben wir bei den Steinen. Was macht die Arbeit im Steinbruch so gefährlich?
PÜTTER: Der feine Steinstaub setzt sich in der Lunge der Kinder fest, führt zu Entzündungen und lässt das Gewebe vernarben. Die Lunge kann dann nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen, die Kinder ringen sprichwörtlich nach Luft. Ein Kind, das schon als Baby in den Steinbruch mitgenommen wurde, hat eine Lebenserwartung von 30 Jahren. Das muss aufhören! Dazu kommt, dass die harte Arbeit mit Presslufthämmern die Gelenke und Schleimbeutel der Kinder kaputt macht. Und viele werden taub, weil sie jeden Tag schutzlos dem ohrenbetäubenden Lärm der Maschinen ausgesetzt sind.
Welche Produkte sind noch betroffen?
PÜTTER: Hätten Sie mich vor 25 Jahren gefragt, hätten wir nur über Kinderarbeit in der Teppichindustrie gesprochen. Indien exportierte damals mehr als die Hälfte seiner Orientteppiche nach Deutschland. Die kritische Berichterstattung in den Medien half, die Kinderarbeit zurückzudrängen. Allerdings ist das Thema in den vergangenen Jahren von der Agenda verschwunden. Jetzt sehen wir wieder mehr Kinder, vor allem im sogenannten "Teppich-Gürtel" Indiens. Sobald sie sechs, sieben Jahre alt sind, müssen sie bis zu 9.000 Knoten am Tag knüpfen - das sind mindestens acht Stunden Arbeit. Aber auch hier können Sie als Verbraucher einen Unterschied machen! Drehen Sie vor dem Kauf Ihren Teppich um und suchen Sie nach dem "Good Weave"-Siegel, das eine kinderarbeitsfreie Produktion gewährleistet. Auch Räucherstäbchen sind ein Produkt, das überwiegend von Kindern hergestellt wird. Dafür gibt es bislang leider kein Siegel. Deshalb meine Bitte: Haken Sie bei jedem Kauf nach, fragen Sie nach zertifizierten Produkten. Wenn der Kunde nachfragt, dann wird sich der Verkäufer darauf einlassen und Konsequenzen bei der Warenbeschaffung ziehen. Das ist die Macht der Verbraucher_innen.
Noch eine Frage zum Schluss: Können Sie guten Gewissens shoppen gehen
PÜTTER: Ja, weil ich weiß, dass man nicht perfekt sein kann. Ich würde auch jeder Person raten, sich erst einmal nur ein Produkt herauszupicken, bei dem er oder sie darauf achtet, dass es ohne Kinderarbeit hergestellt wurde. Wenn das jeder Mensch in Deutschland tut, könnte sich schon viel auf dieser Welt verändern. Das heißt, jeder sollte sich fragen: Wo will und kann ich etwas tun? Und dann Freunde ansprechen: Wo tust Du was?
Als Verbraucher_innen können wir Kinderarbeit eindämmen, indem wir bewusster einkaufen, auf Siegel achten und uns vorab über Produkte informieren. Doch auch direkt vor Ort - in Indien, Kenia oder Bangladesch - können wir aktiv werden und Kinderarbeit bekämpfen. In Indien zum Beispiel haben die Helferinnen der Caritas-Partnerorganisation Kinderarbeit den Kampf angesagt. Mit Aufklärungsaktionen, einer anonymen Notruf-Hotline und Befreiungsaktionen setzen sich die Cluny-Sisters seit rund zehn Jahren für arbeitende Kinder in Not ein. Mehr erfahren...
Nur gemeinsam können wir Kinderarbeit weltweit bekämpfen. Spenden Sie jetzt für Kinder in Not.