Geflohen, um die Familie zu retten
Die Eltern brauchen Sujans Hilfe auf dem Hof, aber er soll auch weiter zur Schule gehen.Bente Stachowske
Darüber reden möchte er nicht. Der 14-jährige Junge Sujan Pakhrin riss Anfang 2017 von Zuhause aus, um in Kathmandu zu arbeiten. Es war die schiere Armut der Familie, die ihn dazu bewogen hat und die Aussicht darauf, dass er sich endlich ein paar Dinge kaufen kann, die er schon lange haben wollte.
„Die Eltern haben uns, die Kinderhilfsorganisation Child Nepal informiert, um ihn zu finden“, erklärt Alina Adhikari, die als Sozialarbeiterin in Kunchok tätig ist und einen guten Überblick über die Lebensverhältnisse der Familien hat. „Wir kooperieren mit der nepalesischen Polizei und unterhalten sogar ein kleines Büro an der Straße Richtung Kathmandu, wo alle Kinder mit dem Bus vorbeikommen auf dem Weg nach Kathmandu. Sujan haben wir nach 5 Tagen in Kathmandu gefunden, weil ein Familienmitglied davon gehört hatte, dass Sujan in einem bestimmten Hotel arbeiten wollte, das ihm jemand empfohlen hat. Dort haben wir ihn auch gefunden“, beschreibt Alina die Rückholaktion.
Sujan selber ist das Gespräch über dieses Ereignis sichtlich unangenehm. Dabei hatte er durchaus nachvollziehbare Gründe, Arbeit zu suchen. Schließlich lebt die siebenköpfige Familie mit drei jüngeren Geschwistern und der Großmutter in bitterer Armut. „Er wollte etwas für uns verdienen und etwas für sich“, beschreibt seine Mutter Sharmita Pakhrin das Motiv ihres Sohnes. „Aber wir brauchen ihn auch hier auf dem Hof und natürlich soll er weiter zur Schule gehen“ so Sharmita. Im Verlauf des Besuches gelingt es doch mit Sujan ins Gespräch zu kommen. „In der Schule interessiere ich mich vor allem für das Fach Politik. Was ich mal werden will, weiß ich noch nicht. Mein Vater verkauft Töpfe aus Ton und zieht von Dorf zu Dorf. Das möchte ich auf keinen Fall machen. Aber in der Landwirtschaft möchte ich auch nicht arbeiten. Man verdient da ja nichts“ erzählt Sujan.
Zu siebt in einem Raum
Die Sozialarbeiterin Alina Adhikari muss nicht nur Eltern von der Wichtigkeit der Schule überzeugen. Manchmal auch die Kinder, so wie den 14-jährigen Sujan.Foto: Bente Stachowske
Seit 2015, als das Erdbeben das Haus der Familie zerstört hat, leben sie in einem Wellblechverschlag. „Wir leben nun schon zwei Jahre ohne Haus. Das gefällt Sujan nicht. Er vermisst das Haus wie wir alle auch“, erklärt seine Mutter. Zwar unterstützt der Staat den Bau eines neuen Hauses mit bis zu 3.000 Euro, doch ein Haus kostet etwa das Doppelte. Sehr arme Familien wie die Pakhrins, schaffen es nur äußerst mühsam sich eine neue Bleibe zu finanzieren. Es fehlt an Geld, das dafür aufgebracht werden müsste. Kredite kann man zwar aufnehmen, doch die Zinsen schlagen üblicherweise mit 18 Prozent zu Buche. In den meisten Fällen geht ein erwachsenes Familienmitglied in den Mittleren Osten um dort einige Jahre auf Baustellen zu arbeiten und damit ein Haus bezahlen zu können. Auch Sujan denkt bereits darüber nach. Möglichweise bleibt das aber der Familie erspart, da ihr altes Haus in einer erdrutschgefährdeten Zone steht. Für diese Häuser möchte der Staat eine größere Entschädigung zahlen. Doch auch mehr als zwei Jahre danach ist das noch nicht entschieden. Und Sujan muss weiter mit sechs Personen in einem einzigen Raum zwischen den Zinkblechen leben.
Jörg Schaper, Juli 2018