Kolumbien: Die Caritas als Stimme für die Marginalisierten
2016 schlossen die FARC-Guerilla und der kolumbianische Staat offiziell Frieden. In Großstädten wie Medellin und Bogota oder in größeren Grenzstädten wie Cúcuta und Pasto ist der Frieden spürbar. Wenige Kilometer außerhalb, auf dem Land, herrscht jedoch eine andere Realität. Es fehlt an Infrastruktur wie Straßen, Strom-, Wasser- und Gesundheitsversorgung sowie an weiterführenden Schulen.
Die meisten Familien auf dem Land sind Kleinbauern und müssen mit winzigen Ackerflächen über die Runden kommen. Viele überleben nur dank des illegalen Anbaus von Koka. Folglich nehmen die Kokaanbauflächen rapide zu, und im gleichen Maße auch die Gewalt. Bewaffnete Banden kontrollieren immer mehr ländliche Gemeinden und die Transportrouten, über die sie ihre Waren illegal außer Landes schaffen. Die Menschen, die entlang der Routen leben - oft indigene Bevölkerungsgruppen -, sind ständigen Schikanen und Repressalien ausgesetzt. Es kommt zu Zwangsrekrutierungen, Menschen werden bedroht und ermordet. Viele entscheiden sich daher zur Flucht. Oft fliehen sie in größere Städte, dort nimmt sich die Caritas ihnen an. So auch in Pasto.
Das Leben im ländlichen Kolumbien ist hart. Viele Menschen leben in kargen Hütten, der Schulweg für die Kinder ist weit. Es gibt keine Gesundheitsversorgung, die ihren Namen verdient. Viele Familien haben deutlich weniger als einen Hektar Ackerfläche, wovon sie nur schwer leben können. Foto: Christine Decker/ Caritas international
Rechtlicher und seelischer Beistand für Menschen, die bedroht sind
Pasto ist die Hauptstadt des Departments Nariño und liegt im Süden Kolumbiens nahe der Grenze zu Ecuador. Nordöstlich von Pasto bekämpfen sich bewaffnete Banden, Paramilitärs und Guerillas. Oftmals reiche es schon aus, dass sich jemand in seiner Gemeinde sozial engagiere, anstatt sich den Banden anzuschließen, um massiv bedroht und vertrieben zu werden, erklärt James Morales. Er ist Direktor der Caritas Pasto und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Betroffenen der Bandenkriege zu unterstützen und für sie einzustehen.
James Morales, Direktor der Caritas PastoFoto: Christine Decker/ Caritas international
James Morales und sein Team bei der Caritas Pasto bieten den vertriebenen Menschen Obdach. Drei Monate können sie in einem Schutzhaus der Caritas leben und zur Ruhe kommen. Sie bekommen zu Essen und saubere Kleidung, genauso wie psychologische Betreuung und rechtlichen Beistand. "Wir begleiten die Menschen, solange sie unsere Hilfe benötigen", sagt Caritas-Direktor Morales. "Und wir sorgen dafür, dass der Staat und die staatlichen Institutionen sich um ihre Belange kümmern, die bestehenden Gesetze umsetzen und ihre Verpflichtungen einlösen."
Die Caritas Pasto, ihr Direktor James Morales und seine 50 Kolleginnen und Kollegen, verstehen sich als Stimme für diejenigen, deren Rechte häufig ignoriert werden. Ihre Arbeit in den abgeschnittenen Landgemeinden sehen sie als Einsatz für den sozialen Frieden innerhalb Kolumbiens. Dazu gehört neben Hilfe für Geflüchtete und Betroffene bewaffneter Konflikte, auch die Hilfe für Kleinbauern, die unterhalb des Existenzminimums leben, und die Arbeit mit Menschen, die eine psychische oder körperliche Beeinträchtigung haben.
Ein Inklusionsprojekt auf dem Land
Juana Janeth Cabrera (31) ist Mutter von zwei Töchtern und alleinerziehend. Ihre heute 15-jährige Tochter Astrid (rechts im Bild) kam zur Welt, als sie selbst noch minderjährig war. Astrid hat eine Mehrfachbehinderung und musste schon mehrfach operiert werden. Die Caritas unterstützt die junge Mutter, beispielsweise mit rechtlicher Beratung.Foto: Jorge Moncayo / Caritas Pasto
Staatliche Hilfen oder Betreuungsangebote für Kinder mit Beeinträchtigungen gibt es im ländlichen Kolumbien so gut wie gar nicht. Für Kleinbauern, die ohnehin in Armut leben, bedeutet ein Kind mit Behinderung daher bittere Armut. Ehen zerbrechen, Mütter bleiben mit der Verantwortung und Pflege allein. Die Caritas Pasto hat daher zusammen mit betroffenen Eltern ein Inklusionsprojekt in der Region gestartet. Ein Physiotherapeut und ein Psychologe der Caritas kümmern sich um die Betroffenen, schulen und beraten deren Angehörigen. Die Caritas vernetzt die Betroffenen untereinander, damit sie sich gemeinsam beim Gesundheitsamt und bei der Stadtverwaltung dafür einsetzen können, dass die Rechte, die ihnen zustehen, eingehalten werden. Dazu gehört beispielsweise die gesetzlich garantierte Behindertenrente.
Rechtshilfe für Angehörige, deren Liebsten spurlos verschwunden sind
Zu der rechtlichen Hilfe der Caritas gehört auch der Blick in die Vergangenheit. Gemeinsam mit der Stiftung Nydia Erika Bautista arbeitet Caritas international Fälle auf, bei denen in Kolumbien Menschen von Paramilitärs, Guerillas, kriminellen Banden oder auch durch reguläre Streitkräfte entführt worden sind und niemals wieder auftauchten. Gemeinsam unterstützen Caritas und die Stiftung Nydia Erika Bautista die Angehörigen verschwundener Personen bei der Wahrheitsfindung und der Einforderung ihrer Rechte. Denn obwohl der Friedenvertrag von 2016 einen Passus zur Aufarbeitung dieser Verbrechen enthält und eine Sondergerichtsbarkeit sowie eine Wahrheitskommission eingerichtet worden sind, kommt die Arbeit der Behörden nur schleppend voran.
Yanette Bautista, Leiterin des Caritas-Projektpartners Fundación Nydia Erika Bautista, die sich für die Aufklärung von Verschwundenen und die Entschädigung der Familien stark macht. Immer mit sich führt sie ein Bild eines verschwundenen Freundes.Foto: Holger Vieth/ Caritas international
In verschiedenen Workshops erhalten die Frauen und Familien verschwundener Personen alle Kenntnisse, die sie brauchen, um ein Verfahren bei den Behörden einzuleiten und daran teilzunehmen. Bei Vorladungen oder Gerichtsprozessen werden sie durch die Stiftungs-Mitarbeitenden begleitet und rechtlich beraten. Parallel dazu analysieren Fachexpert_innen Fälle von verschwundenen Personen, dokumentieren diese und erstellen Tatmuster. Die dokumentierten Fälle werden dann zur Aufarbeitung an die Behörden weitergeleitet. Die Caritas und die Stiftung sorgen damit aktiv für die Interessensvertretung der betroffenen Familien vor den Behörden, der Öffentlichkeit und in der Politik. Dabei arbeiten sie auch mit anderen Netzwerken, Menschenrechtsorganisationen und Opfervertretungen zusammen.
Friedensförderung als zentrale Aufgabe
Grundsätzlich, und über alle Projekte hinweg, ist das zentrale Anliegen der Caritas, den Frieden in Kolumbien zu fördern. Seit 2013 unterstützt Caritas international deshalb lokale Caritasorganisationen und andere Projektpartner vor Ort mit verschiedenen Projekten zur nachhaltigen Friedensentwicklung. Diese Projekte werden auch mit Unterstützung der Deutschen Bundesregierung umgesetzt. Hierbei geht es vor allem um gesellschaftliche und politische Teilhabe sowie um Empowerment: Durch die Caritas erwerben Menschen, die keine Chance auf höhere Bildung hatten, Kompetenzen und Kenntnisse, mit denen sie ihre eigenen Rechte einfordern können. Sie lernen, welche Rechte sie gegenüber dem Staat geltend machen können und welche Pflichten die Verwaltung zu erfüllen hat. Kommt es hier zum Versäumnissen vonseiten der Behörden, helfen die Caritas und ihre Partnerorganisationen den Betroffenen dabei, ihre Rechte einzufordern und Konflikte friedlich und rechtssicher zu lösen.