Wir stehen heute, im Januar 2009, an der Schwelle zu einer neuen UN-Drogen-Dekade. Die UN-Generalversammlung hatte 1998 auf einer Sondersitzung zum Thema Drogen das Ziel ausgegeben, eine drogenfreie Welt schaffen zu wollen. Als Ziel wurde damals unter anderem ausgegeben, dass die Produktion von Koka, Opium und Cannabis bis zum Jahr 2008 deutlich verringert werden sollte. Am Ende der alten UN-Drogen-Dekade 1998 bis 2008 und an der Schwelle zur neuen Dekade müssen wir leider feststellen: Dieses Ziel ist nicht erreicht worden. Im Gegenteil: Ein Blick auf die Zahlen zeigt deutlich: Die Produktion aller Drogen natürlichen Ursprungs hat erheblich zugenommen.
So hat sich die Opiumproduktion verdoppelt, die Anbauflächen für Koka in Kolumbien haben sich verdreifacht, der Anbau von Cannabis hat sich beispielsweise in Marokko von 65.000 auf 75.000 Hektar erhöht. Gleichzeitig ist die Macht der Drogenkartelle und der kriminellen Netzwerke gestiegen. Nicht zuletzt hat auch die Korruption im Zusammenhang mit Drogen zugenommen. Und das trotz einer repressiven internationalen Drogenpolitik und dem von vielen Seiten ausgerufenen "Krieg gegen die Drogen". Vielleicht sollte man sogar besser sagen: Nicht trotz einer repressiven Politik sind Konsum und Anbauflächen illegaler Drogen gewachsen, sondern aufgrund der repressiven Politik. Wir werden diese und andere Fragen im Laufe der nächsten drei Tage sicherlich noch gemeinsam ausführlich erörtern.
Wie auch immer die Bewertung ausfällt, festzuhalten bleibt nach Analyse der Politik der vergangenen Dekade: Die "Null-Toleranz-Doktrin" hat nicht die erhofften Erfolge gezeitigt. Das zeigen alle relevanten Indikatoren überdeutlich. Im Gegenteil: Sie war offensichtlich kontraproduktiv und hat große Schäden in der Bevölkerung allgemein und bei den Drogenkranken insbesondere angerichtet. Genannt seien in diesem Zusammenhang beispielsweise Begleiterscheinungen wie die Beschaffungskriminalität und der Machtzuwachs von Paramilitärs und Terrorgruppen, die sich weitgehend durch Drogenhandel finanzieren.
Wir alle sind aufgerufen zu überlegen, was aus diesen Zahlen und den Ergebnissen der Politik der vergangenen UN-Dekade folgt. Viele von Ihnen, die als Mitglied des weltweiten Caritas-Netzwerkes unserer Einladung zur Drogenkonferenz gefolgt sind, haben sich an dieser von uns angestoßenen Diskussion bereits auf kontinentalen Konferenzen in Lateinamerika, Asien und Osteuropa beteiligt und die Erklärungen von El Salvador, Dhaka und einem Ost-Ost-Treffen verabschiedet. 26 Länder waren involviert. Es war ein anregender, manchmal anstrengender, aber auf jeden Fall fruchtbarer Prozess, der uns auf dem Weg zum Ziel einer gemeinsamen Caritas-Drogen-Politik ein gutes Stück vorangebracht hat. Die Erklärungen der kontinentalen Konferenzen finden Sie in der Tagungsmappe.
Parallel haben wir - und das bedeutet: federführend unser Experte Efrem Milanese, den ich an dieser Stelle stellvertretend für viele, die geholfen haben diese Konferenz mit vorzubereiten, ganz herzlich grüßen möchte - parallel haben wir 210 in der Suchthilfe tätige Caritasverbände, Caritas-Partner und in der Suchthilfe tätige Mitarbeiter danach gefragt, welche Prioritäten sie in ihrer Arbeit für die nächsten zehn Jahre sehen.
Ohne der Diskussion der Ergebnisse vorgreifen zu wollen, die Schwerpunkt der Arbeit am zweiten und dritten Tag unserer Konferenz sein wird, kann man doch sagen, dass große Übereinstimmung darüber bestand, dass aus Sicht der Caritas eine wirksame Drogenpolitik ohne Einbeziehung der lokalen Gemeinschaften, der Zivilgesellschaft und ihrer Organisationen, nicht denkbar ist. Eine wirksame Drogenpolitik und eine wirksame Suchthilfe muss an der Basis ansetzen. Es muss eine "Drogenpolitik von unten" sein. Es muss eine Drogenpolitik sein, die nah an den Menschen ist.
Wir haben in der Vergangenheit diesen Gedanken in vielen Bereichen der Drogenarbeit bereits zur Leitlinie unserer Arbeit gemacht. Egal ob in Afrika, Asien, Lateinamerika oder Europa - für die Caritas steht immer der Mensch im Mittelpunkt. In der Praxis konkretisiert sich dieser Anspruch in sechs zentralen Punkten.
- Wir setzen uns dafür ein, dass die Menschenrechte der Konsumenten anerkannt und respektiert werden
- Wir setzen uns dafür ein, dass die Konsumenten entkriminalisiert werden
- Wir setzen uns dafür ein dass Kleinbauern entkriminalisiert werden
- Wir setzen uns dafür ein, dass Hilfsangebote für Abhängige ausgeweitet werden
- Wir setzen uns dafür ein, dass die Wechselbeziehung zwischen Armut und Drogen ins Bewusstsein der verantwortlich Handelnden und der Öffentlichkeit dringt
- Und schließlich setzen wir uns dafür ein, dass zivilgesellschaftliche Organisationen ein Mitspracherecht in der Bestimmung der Drogenpolitik erhalten
Seit den 70er Jahren unterstützen wir als Hilfswerk der deutschen Caritas weltweit Projekte und Aktivitäten in der Suchthilfe. Prälat Dr. Neher hat auf die Historie hingewiesen. Wir haben gemeinsam viele Erfahrungen sammeln können in diesen vergangenen Jahren. Wir haben manchen Rückschlag verdaut, das gehört dazu, wenn man in einem so schwierigen Arbeitsfeld tätig ist, aber auch viele Erfolge erlebt und manchen auch gemeinsam feiern können.
Jetzt an der Schwelle zur neuen UN-Dekade gilt es für uns, diese Erfahrungen zu nutzen und gemeinsam einen wichtigen Schritt voranzugehen. Wir haben in diesen Tagen die große Chance, unsere Erfahrungen und unsere Expertise einzubringen und mitzuhelfen, dass die Weichen für die nächste UN-Drogen-Dekade richtig gestellt werden.
Ich wünsche mir von diesen drei Tagen: Lassen Sie uns gemeinsam diese Chance nutzen. Lassen Sie uns gemeinsam den nächsten Schritt tun. Lassen Sie uns mithelfen, die weltweite Drogenpolitik aktiv mit zu gestalten und zu verändern.
Dr. Oliver Müller
Leiter Caritas international
Januar 2009