Ein Beitrag von Muriel Schäfer
Leiterin Online-Marketing bei Caritas international
01. Dezember 2023 / Lesedauer: 3 Minuten
An der Anlegestelle stehen wir mit unserem Gepäck, in Erwartung des Bootes, das uns heute zu den traditionellen Flussgemeinschaften am Amazonas bringen wird. Schon von weitem sehen und hören wir das Boot: Einen weißen, offenen 8-Sitzer, auf dessen Front das leuchtend rote Caritas-Flammenkreuz prangt. Das sind zweifellos unsere Partner. Roberto reduziert die Geschwindigkeit, und das Boot gleitet langsam auf uns zu. Antonia steigt aus dem Boot und sofort nimmt mich ihre Persönlichkeit ein. Mit einem freundlichen Lächeln sagt sie: "Willkommen in Abaetetuba!" Wir begleiten Antonia Maria Coutinho Botelhos, eine Caritas-Mitarbeiterin und Sozialarbeiterin, vier Tage lang bei ihrer Arbeit auf dem Amazonas.
Ihre Hingabe für ihre Arbeit ist offensichtlich. Antonia ging sogar vorzeitig in Rente, um sich vollkommen dieser "neuen Arbeit" zu widmen. Dabei ist sie nicht allein - sie kämpft jeden Tag für Kinderrechte, zusammen mit ihrem Mann Roberto und zahlreichen freiwilligen Helfer_innen.
"Natürlich können wir nicht alle Täter erwischen. Wir sind uns immer bewusst, dass jeder, der sexuellen Missbrauch und Ausbeutung aufdeckt und sich für die Rechte der Kinder einsetzt, selbst zur Zielscheibe wird. Aber das ist eine bewusste Entscheidung. Ich, Antonia, bin mir bewusst, dass ich viele Feinde habe: Menschen mit Einfluss, Menschen mit finanziellen Mitteln, Politiker und Geschäftsleute, die sogar sagen, 'Lass sie von der Landkarte verschwinden.' Aber ich bin nicht allein", sagt Antonia Maria Coutinho Botelhos.
Das Leben auf dem Fluss folgt einem eigenen Rhythmus, abhängig von den Gezeiten, die vor Ort einen erheblichen Einfluss haben. Bei Flut steigt das Wasser um mehr als einen Meter, was bedeutet, dass viele Häuser und Orte bei Ebbe nur schwer mit dem Boot erreichbar sind. Viele Gemeinschaften leben daher relativ isoliert von der Außenwelt. Deswegen freuen sich die Menschen umso mehr, wenn das Caritas-Boot anlegt und Antonia und ihre Kolleg_innen Zeit mit ihnen verbringen.
Heute begleiten wir Antonia bei einem ihrer Workshops. Viele Menschen sind gekommen. Früchte und Blumen schmücken den Raum, das Poster "Meine Rechte als Kind" hängt an der Wand. Antonia vermittelt in Gesprächen, mit Gesang und überzeugenden Argumenten, warum alle Anwesenden sich für die Rechte von Kindern einsetzen sollten. Heute hält ein Junge aus der Gemeinschaft, der eine leichte körperliche Behinderung hat, einen Vortrag darüber, wie ihm das Projekt geholfen hat, selbstbewusster zu werden und für sich einzustehen. Seine Freunde, darunter auch Jéssica Moraes, applaudieren begeistert.
"Viele Kinder kennen ihre Rechte nicht", erzählt Jéssica, die heute 22 Jahre alt ist und von Anfang an im Projekt mitarbeitet. Kinder wissen oft nicht, was sexualisierte Gewalt ist und wie sie sich dagegen wehren können. "Erst das Projekt hat das Bewusstsein dafür geschaffen." Deshalb werden immer mehr Fälle zur Anzeige gebracht. "Inzwischen sind sich die Kinder, die an Workshops und Theaterstücken teilnehmen, sehr bewusst darüber, was ihre Rechte sind und was sie einfordern können. Heute äußern sie ihre Meinung in der Schule oder zu Hause und können Unrecht erkennen und benennen. Das ist das Ergebnis unserer Arbeit" erzählt Jéssica stolz.
Dass die Arbeit der Caritas vor Ort Früchte trägt, zeigt sich nicht nur daran, dass dieses einstige Tabu-Thema heute offen diskutiert werden kann, sondern auch daran, wie viele Menschen sich ehrenamtlich engagieren. 400 freiwillige Caritas-Agent_innen, wie sie sich selbst nennen, nehmen am Projekt teil und setzen sich jeden Tag dafür ein. Seitdem konnten über 42 Fälle aufgeklärt und den betroffenen Familien geholfen werden.
Neben ihrem Engagement im Projekt "Iça" studiert Jéssica inzwischen Jura an der Universität in Belem, um "mit meinem Wissen noch mehr Kindern helfen zu können". Sie wurde vor kurzem sogar zur Vormundschaftsberaterin in ihrem Distrikt gewählt. Der Vormundschaftsrat überwacht, ob Gesetze eingehalten und die Rechte von Kindern gewahrt werden. Am Tag der Wahl waren wir zusammen mit Antonia bei Jéssica zu Hause und fieberten dem Ergebnis entgegen. Als bekannt wurde, dass Jéssica gewonnen hat, fiel Antonia ihr in die Arme, einige Tränen flossen. "Wir arbeiten gemeinsam daran, unsere Kinder, unsere Jugendlichen zu schützen, damit ihre Rechte nicht nur nicht verletzt werden, sondern auch durch das Gesetz garantiert sind", erklärt Jéssica und Antonia pflichtet ihr bei. Die Begeisterung und Stärke dieser beiden Frauen übertragen sich, wenn man sie im Caritas-Boot über den Fluss begleitet, wenn man Antonia und Jéssica zuhört oder sieht, wie begeistert die Menschen ihnen begegnen und ganz offen mit ihnen über dieses Thema reden.
Der Besuch an diesem Ort geht zu Ende. Wir steigen wieder ins Boot und fahren zur nächsten Gemeinde - gespannt was uns Antonia uns dort zeigen wird.
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