Bambus und Plastikplanen: Das sind die einzigen Materialien, mit denen im Flüchtlingslager Kutupalong gebaut werden darf. Kein Beton, keine Dachziegel - nichts, was den Eindruck erwecken könnte, dass die Flüchtlinge noch Jahre lang hier leben werden.
„Ich darf mich hier nicht sicher fühlen, das spüre ich jeden Tag“, erzählt Toyba Khatun. „Wir sind hier nur geduldet, genau wie unsere kleine Hütte.“ Die junge Frau wohnt, wie über 700.000 weitere Angehörige der Volksgruppe Rohingya, seit fünf Jahren in einem Campabschnitt von Kutupalong, dem größten Flüchtlingslager der Welt. Die Rohingya sind Angehörige einer muslimischen Ethnie aus Myanmar. Im August 2017 wurden sie von Regierungstruppen brutal aus ihrem Heimatstaat Rakhine in Myanmar vertrieben. Doch auch im Nachbarland Bangladesch sind sie unerwünscht.
Kutupalong liegt im Distrikt Cox’s Bazar im südöstlichen Bangladesch an der Grenze zu Myanmar. Die Region mit ihren über zwei Millionen Einwohner_innen gehört zu den ökonomisch schwächsten von Bangladesch. Zugleich wird sie oft von Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen und Überschwemmungen heimgesucht. 33 Prozent der Bevölkerung von Cox´s Basar leben unterhalb der Armutsgrenze - sie haben keine Kapazitäten, um sich um die geflüchteten Rohingya zu kümmern. Auch die Regierung von Bangladesch erlaubt lediglich eine Duldung der Geflüchteten. Es ist ihnen untersagt, sich permanent niederzulassen, eine feste Unterkunft zu bauen oder zu arbeiten. Ohne Unterstützung von Hilfsorganisationen könnten sie kaum überleben. Die klimabedingten Wetterextreme verschlimmern die ausweglose Situation.
Während der Regenzeiten versinkt das gigantische Flüchtlingscamp im Matsch, in trockenen Phasen kommt es immer wieder zu verheerenden Bränden, die sich zwischen den engstehenden Hütten im Camp schnell ausbreiten.
Toyba Khatun, die junge Rohingya-Frau, deutet auf die Hüttenwand aus geflochtenem Bambus hinter ihr. Der wochenlange Monsunregen hat ihr stark zugesetzt, sie fault und muss unbedingt erneuert werden. Hilfe bekommen Toyba Khatun und die anderen Rohingya von der Caritas. Deren Mitarbeitende helfen den Campbewohner_innen dabei, ihre Hütten neu zu bauen oder trocken zu halten.
Wie die Caritas den Rohingya in Bangladesch hilft
In mehreren Campabschnitten von Kutupalong betreibt die Caritas Lagerhäuser: Dort bekommen die Bewohner_innen Bambusstangen, Plastikplanen und Befestigungsmaterialien für den Bau ihrer Hütten. Angrenzend an das Materiallager steht das Gemeindezentrum. Dort bieten Caritas-Mitarbeitende, aber auch Rohingya, die von der Caritas weitergebildet wurden, Fortbildungen an. Gelehrt werden dabei beispielsweise das Schneiderhandwerk, der Hausbau oder die Reparatur von Solarlampen. Ergänzt werden die beruflichen Weiterbildungen durch verschiedene psychosoziale Angebote, die das große Thema Gewalt im Camp aufgreifen. So richten sich etwa Aufklärungs- und Präventionsangebote für Frauen gegen häusliche Gewalt. Mobile Teams der Caritas suchen den direkten Kontakt zu Frauen und Mädchen, um möglichst viele von ihnen zu schützen.
In Kutupalong herrschen strenge Regeln. Es ist von den Behörden genau vorgeschrieben, wie groß eine Hütte für vier, sechs oder acht Personen sein darf und es wird exakt ausgerechnet, wie viele Meter Bambus, Seil und Plastikplane dafür benötigt werden. Die Caritas hat trotz der engen Vorgaben ein hocheffizientes System entwickelt, das den Bau kostensparender und dennoch katastrophensicherer Hütten ermöglicht. Die Hütten sind so konzipiert, dass sie Zyklonen und Starkregen besser standhalten und einzelne Teile regelmäßig ausgetauscht werden können, wenn sie vermodern und erneuert werden müssen. Aufgrund der Kosten- und Materialeffizienz beim Bau kann die Caritas sehr vielen Menschen in Kutupalong helfen. Seit der großen Vertreibung der Rohingya im Sommer 2017 hat die Flüchtlingshilfe der Caritas zehntausende Haushalte erreicht. Über 14.000 Hütten wurden renoviert und über 300 neu gebaut.
Einkaufen im Caritas-Lagerhaus - wer nichts hat, bekommt mehr
Johanna Klumpp, Referentin der Öffentlichkeitsarbeit von Caritas international, besuchte die Caritas-Projekte in Kutupalong im November 2022 und lernte das dortige System zur Unterstützung von Menschen in Not kennen. Sie erläutert: "Je nach Bedürftigkeit hat jeder Campbewohner oder jede Campbewohnerin ein Punktekontingent, mit dem er oder sie im Caritas-Lagerhaus einkaufen kann: Material und auch Arbeitskraft. Wer wenig oder gar kein Geld hat, bekommt mehr Einkaufspunkte. Es gibt aber auch die Möglichkeit, in Cash-for-Work-Programmen (engl. Geld für Arbeit) mitzuarbeiten. Campbewohner und -bewohnerinnen agieren dabei gemeinsam mit den Caritas- Mitarbeitenden. Sie unterstützen bei der Renovierung oder dem Neubau von Hütten oder bei der Reinigung von Wegen und Abwasserkanälen. Mit dem Einkommen können sie für ihre Familien frische Lebensmittel wie Eier, Milch und Fisch einkaufen oder Medikamente besorgen."
Mittlerweile gibt es auch immer mehr Frauen, die bei der Caritas mitarbeiten, andere Frauen im Hausbau schulen oder als Vorarbeiterinnen kleine Frauengruppen auf den Baustellen anleiten. Die bezahlte Arbeit der Caritas gibt den oft alleinerziehenden Müttern, die mit ihren Kindern aus Myanmar flüchten mussten, ein Stück Unabhängigkeit und Hoffnung zurück.
Neben dem Bau von Unterkünften ermöglicht die Caritas den Menschen im Flüchtlingslager auch Zugang zu sauberem Trinkwasser, stellt Waschmöglichkeiten und Hygieneprodukte bereit. Sie baut Toiletten und Waschräume, um ein wenig Privatsphäre im beengten Campalltag zu schaffen. Solarlampen und solarbetriebene Straßenlaternen erhöhen die Sicherheit, insbesondere beim nächtlichen Gang zu den gemeinschaftlichen Sanitäranlagen. Nachts kann es in Kutupalong besonders für Frauen und Kinder brandgefährlich werden.
Kinder werden von der Caritas besonders gefördert. Offizielle Schulen hat die Regierung Bangladeschs im Camp nicht gestattet, jedoch wird durch informelle Bildungsangebote der Caritas für die ersten beiden Schuljahre zumindest eine Grundbildung gefördert. Der Unterricht in den Caritas-Lernzentren darf zwar nur in der Muttersprache der Rohingya und nicht auf Bangla stattfinden, aber immerhin lernen die Kinder dort Lesen, Schreiben und Rechnen. Und ein bisschen Englisch.