Irak: Hilfe für die Vertriebenen
Neue Freunde in neuer Umgebung
Als die Vertriebenen nach Zakho kamen, konnte sich Nijat Nissan nicht vorstellen, dass sie unter den Neuankömmlingen neue Freundinnen finden könnte. "Ich muss zugeben, ich hatte ein paar Vorurteile”, sagt die 18-Jährige und lächelt verlegen. "Doch jetzt sind sie verflogen”, erklärt die chaldäische Christin, die seit einigen Monaten sowohl Jesidinnen als auch Muslima zu ihrer Clique zählt. Kennengelernt hat sie ihre Freundinnen in einem der vier Zentren der lokalen Caritas, in denen Frauen, aber auch Männer und Kinder mehrmals in der Woche zu mehrstündigen Treffen zusammenkommen. Die meisten der Teilnehmer sind Vertriebene aus Gebieten wie Mossul, dem Sindschar oder der Niniveh-Ebene, aber auch die lokale Bevölkerung kommt gelegentlich vorbei. Menschen wie Nijat. Während bei den Kindern der Spaß am Spiel im Vordergrund steht, geht es bei den Treffen der Älteren etwas seriöser zu.
"Wir versuchen, Ihnen Dinge beizubringen, mit denen sie sich eine Lebensgrundlage schaffen können - oder die sie sonst irgendwie weiterbringen.”, sagt Fadi Nissan, Sozialarbeiter der Caritas Zakho. Dazu gehören Vorträge über Betriebswirtschaft, Englischunterricht und Handwerkskurse. "Sie freuen sich über jede Gelegenheit zu lernen und saugen alles auf wie ein Schwamm. Aber es geht auch darum, sie zusammenzubringen, sie von ihren düsteren Erinnerungen abzulenken und etwas Freude in ihr Leben zu bringen.” Darum spielt auch Sport bei den Treffen eine wichtige Rolle.
Nijat Nissan hat es das Frisieren angetan. Vor allem die festlichen, pompösen Frisuren. Für Hochzeitsgäste oder die Braut selbst. In ihrem Elternhaus, nur ein paar Straßen entfernt von dem Caritas-Zentrum hat sie sich unter einer Treppe selbst einen kleinen Schönheitssalon aufgebaut. Erst einmal nur zum Üben. Doch das soll nur der erste Schritt sein: "Hoffentlich kann ich schon bald einen richtigen Laden eröffnen.” Es wäre ein willkommenes Zubrot für ihre arme Familie. Denn seit einem Autounfall ist ihr Vater ein Pflegefall und kann die Familie nicht mehr ernähren.
Holger Vieth besuchte Nijat Nissan im Juni 2017