Die Hintergründe des Biafra-Krieges
Über die Zahl der Opfer gibt es bis heute keine gesicherten Erkenntnisse. Schätzungen gehen von zwei Millionen Toten aus, darunter viele Kinder. Die meisten starben nicht an den direkten Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern am Hunger als Folge der Blockade Biafras.
Ursachen des Biafra-Krieges
Die Entwicklungen und Ursachen, die zum Ausbruch des Krieges führten, sind vielschichtig und komplex. Einfache Erklärungsmodelle - etwa hinsichtlich religiöser Spannungen, ethnischer Konflikte, interner Machtkämpfe, Folgen der Kolonialherrschaft oder Ölvorkommen - greifen zu kurz. Auch die Bezeichnung "Sezessionskrieg" beschreibt die Wirklichkeit nur ungenügend, denn es ging um mehr als die simple Abspaltung Biafras von Nigeria.
Kampf um die Vormachtstellung im Staat
Nigeria ist ein Vielvölkerstaat mit zwei Hauptreligionen, dem Christentum im Süden und dem Islam im Norden. Mit der Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien im Jahr 1960 begann unter den verschiedenen Volksgruppen Nigerias der Kampf um die Vormachtstellung im Staat. Dabei fühlten sich vor allem die in der Biafra-Provinz beheimateten christlichen Ibo gegenüber den muslimischen Haussa und Fulani im Norden benachteiligt. Anfang 1966 putschen Ibo-Offiziere, töteten den nigerianischen Ministerpräsidenten Balewa und brachten den Ibo-General Aguyi Ironsi an die Macht. Noch im gleichen Jahr kam es zum Gegenputsch und die Angehörigen der Ibo, die auch im restlichen Nigeria beheimatet waren, fielen einem Progrom zum Opfer, bei dem bis zu 30.000 Ibos ums Leben kamen.
Flucht nach Biafra
Das Massaker an zehntausenden Ibos in den nördlichen Regionen Nigerias führte zu einer Massenflucht der Volksgruppe in die südöstlichen Provinzen (Biafra). Dadurch erreichte Biafra auf einem Gebiet von ungefähr 93.000 Quadratmetern eine sehr hohe Bevölkerungsdichte - die Angaben schwanken zwischen 9 und 14 Millionen Menschen.
Zuordnung von Erdölquellen und Ausruf der Unabhängigkeit Biafras
Am 27. Mai 1967 kündigte General Gowon, der Chef der nigerianischen Militärregierung, eine Neuordnung der Provinzen Nigerias an. In deren Folge wurde Nigeria in zwölf Bundesstaaten aufgeteilt. Dabei legte man die administrativen Grenzen so, dass die Erdölgebiete außerhalb des Zugriffes der Ibo lagen. Diese Benachteiligung führte schließlich dazu, dass der Militärgouverneur der Ostregion, der Ibo Chukwuemeka Oduegwu Ojukwu, am 30. Mai 1967 die Unabhängigkeit der Region Biafra ausrief.
Einmarsch nigerianischer Truppen
Die Antwort der nigerianischen Zentralregierung in Lagos war eine Generalmobilmachung, gefolgt von einer Seeblockade und der Abriegelung der Grenze zu Kamerun. Mit dem Einmarsch nigerianischer Regierungstruppen in Biafra am 6. Juli 1967 begann der Krieg. Die zwar hochgerüstete, aber schlecht organisierte Regierungsarmee tat sich gegen die Aufständischen schwer, die von internationalen Söldnern unterstützt wurden.
Militärische Unterlegenheit Biafras
Trotz erbittertem Widerstand zeigte sich bald die militärische Unterlegenheit Biafras. Vor allem die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien unterstützte die Zentralregierung. Weitere Waffenlieferanten an Nigeria waren die USA, die Sowjetunion, Spanien, Polen, die Tschechoslowakei, Belgien und die Niederlande, wobei die drei zuletzt genannten Staaten im Laufe des Jahres 1968 ihre Lieferungen einstellten. Die der Republik Biafra zur Verfügung stehenden Waffen stammten sowohl aus eigener Produktion als auch von der Volksrepublik China. Weitere Lieferanten waren Portugal, Frankreich und die Schweiz. Diplomatisch anerkannt wurde Biafra jedoch von keinem dieser Staaten.
Schrumpfendes Land
Am 18. Mai 1968 eroberten die nigerianischen Truppen die wichtige Hafenstadt Port Harcourt und Biafra verlor damit den Zugang zum Meer. Die Region wurde von der Außenwelt abgeschnitten. Eine Versorgung von außen war nicht mehr möglich. Nigeria zog im Verlauf des Krieges einen immer enger werdenden Belagerungsring um das abtrünnige Biafra und isolierte das verbleibende Gebiet.
Luftbrücke nach Biafra
Der einsetzende Proteinmangel hatte katastrophale Folgen für die Kinder: Das Stichwort hierfür lautete: Kwashiorkor“, eine Krankheit, die durch den Mangel an Proteinen gekennzeichnet ist und die oft mit dem Tod endet.
Bis heute ist nicht ganz klar, ob die Hungersnot eine ungewollte Folge des Kriegs war oder ob die nigerianische Regierung die Katastrophe bewusst herbeiführte, indem sie Lebensmittellieferungen nach Biafra blockierte. Nachdem die nigerianische Armee fast alle Häfen und Flugplätze erobert hatte, hatte sie die Mittel, um die Versorgung der Bevölkerung zu kappen. Nach Ansicht mancher Beobachter war die Hungersnot ein geplanter und wesentlicher Teil der nigerianischen Kriegsführung: "Starvation is a legitimate weapon of war, and we have every intention of using it".
Allerdings wurden auch Stimmen laut, die Biafras Führung vorwarfen, den Hunger der Menschen propagandistisch auszunutzen. So etwa die britische Labour-Regierung, die Nigeria mit Waffen belieferte und die behauptete, die Berichte über den Hunger in Biafra seien feindliche Propaganda. Tatsächlich besaß Biafra eine hervorragend organisierte Presseabteilung, die dazu mit einer professionellen Werbeagentur in der Schweiz zusammenarbeitete. Der Verdacht ist demnach nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Biafra die Hungersnot propagandistisch nutzte, um für seine Belange zu werben.
Colonel Adenkule, ein hoher nigerianischer Offizier, wurde in der „Times“ zitiert mit den Worten: „Ich möchte es verhindern, dass auch nur ein Igbo vor der Kapitulation ein Stück zu essen bekommt“. Dass der Hunger zu den Hauptwaffen dieses Krieges gezählt werden kann, ob vorerst absichtlich eingesetzt oder nicht, ist sicher.
Die kirchlichen Hilfswerke versuchten, den Hunger durch eine Brechung der Blockade zu bekämpfen und brachten über die Luftbrücke Nahrungsmittel und Medikamente nach Biafra. Die nigerianische Regierung versuchte dies zu verhindern, weil sie in der Unterstützung Biafras durch Nahrungsmittel eine einseitige Unterstützung der Kriegspartei ansah. Sie bedrohte die Flugzeuge der Luftbrücke mit dem Abschuss.
Die Menschen in Biafra waren auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln über den Luftweg angewiesen. Eine wichtige Rolle kam dabei den im Jahr 1968 einsetzenden humanitären Hilfsflügen zu. Sie erfolgten im Wesentlichen von den Inseln São Tomé und Fernando Po (heute Bioko) aus. Da Biafra nach dem Verlust der wichtigsten Städte keinen Flughafen mehr besaß, wurde ein improvisiertes Rollfeld bei Uli/Ihiala im heutigen Bundesstaat Anambra genutzt, um Hilfsgüter zu liefern.
Die Flüge fanden ausschließlich nachts statt, weil die Regierung in Lagos keine direkte humanitäre Hilfe nach Biafra erlaubte. Für Caritas Internationalis (CI) ist die Operation Biafra beispiellos in der Geschichte der Caritas. Was anfangs mit ersten ad-hoc-Aktionen begann, weitete sich in den Folgemonaten zum größten humanitären Hilfsprogramm der Caritas aus.
Bilanz der Operation Biafra: "22 Monate versorgte die Joint Church Aid, die Vereinigte Kirchenhilfe für Biafra, von Sao Tome aus vier Millionen Menschen mit Lebensmitteln, Medikamenten, Unterkünften und Kliniken im Wert von 116 Millionen Mark. In 5310 Flügen wurden mehr als 60.000 Tonnen Hilfsgüter in das Hungergebiet geflogen; Impfaktionen bannten die Seuchengefahr. Die Verluste: 122 biafranische und 35 europäische und amerikanische Helfer und Freunde fanden den Tod, darunter 17 Piloten. Acht Flugzeuge gingen verloren." (Intercaritas, Januar - März 1970, S. 13)
Kapitulation Biafras
Im Januar 1970 kapitulierte Biafra. Der Krieg dauerte 920 Tage und kostete zwischen einer und zwei Millionen Nigerianern das Leben. Biafra wurde wieder in den nigerianischen Staat eingegliedert, während die Ibo auf Jahrzehnte hin keine bedeutenden Posten in Militär oder Verwaltung mehr erhielten. Der Biafra-Krieg hinterließ tiefe Narben in Nigerias Gesellschaft. Bis heute ist das Misstrauen des Ostens gegenüber der Zentralregierung groß. Eine Aufarbeitung der Verbrechen seitens nigerianischer Truppen ist bislang ausgeblieben.