Südsudan: Ein liebevolles Zuhause für Waisenkinder
Ein Beitrag von Caroline Lauhoff
Caroline Lauhoff hat das Projekt in Südsudans Hauptstadt Juba besucht und berichtet von ihrer Begegnung mit Sebila Marypony.
24. Juli 2024 / Lesedauer: 1 Minute
Rettung durch Mama Betty
Als ihre Mutter stirbt, ist Sebila Marypony acht Jahre alt. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Das Mädchen kommt nach dem Tod der Mutter bei ihrem Onkel unter. Doch er vernachlässigt Sebila, gibt ihr tagelang nichts zu essen, lässt sie auf dem Boden schlafen. Sie darf keine Schule besuchen, muss putzen und kochen. Eine besorgte Nachbarin meldet den Fall schließlich der Polizei, die Sebilas Onkel das Sorgerecht entzieht. Umgehend kontaktieren die Beamten Betty Loro, die Leiterin des Waisenkinderzentrums St. Claire. Betty Loro, die in Südsudans Hauptstadt Juba nur als "Mama Betty" bekannt ist, nimmt Sebila bei sich auf - die Rettung für das Mädchen.
Ein Ort der Sicherheit im Südsudan
Im Südsudan lassen brutale Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, die Wirtschaftskrise und immer wiederkehrende Naturkatastrophen die Menschen nicht zur Ruhe kommen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung im Südsudan ist unterernährt, über 70 Prozent der Kinder gehen nicht zur Schule. Viele Jungen und Mädchen reißen von zuhause aus, weil ihre Eltern sie nicht ernähren können. Oder sie fliehen vor häuslicher und nicht selten auch sexualisierter Gewalt. Andere, wie Sebila Marypony, sind Waisenkinder. Sie schlagen sich mit Hilfsjobs durch, etwa indem sie als Haushaltshilfen für einen niedrigen Lohn schuften. Schutzlos werden viele von ihnen Opfer von sexualisierter Gewalt oder verfallen günstig angebotenen Drogen, um ihre Sorgen für einen Moment zu vergessen. Betty Loro und ihre Mitarbeitenden im Waisenkinderzentrum St. Claire bieten den Kindern und Jugendlichen in Juba ein sicheres neues Zuhause.
Fürsorge und Disziplin: Alle packen mit an
Die mittlerweile 16-jährige Sebila wohnt nicht nur im Kinderzentrum St. Claire, sondern sie hilft auch mit. Sie ist, gemeinsam mit den anderen älteren Kindern, dafür zuständig, die Kleidung der Kleinen zu waschen. Als wir sie zum ersten Mal im Zentrum treffen, kneten sie und zwei Freundinnen mit geübten Handgriffen T-Shirts in einer großen Schüssel, ohne einen Wassertropfen zu verschwenden. Es ist Nachmittag und die drei Mädchen freuen sich, dass sie mit ihren heutigen Aufgaben bald fertig sind. Schon seit 4 Uhr morgens sind sie auf den Beinen und haben vor der Schule die Caritas-Betreuerinnen dabei unterstützt, die Babys zu baden und das Frühstück für Alle zuzubereiten. Andere Kinder haben währenddessen die Schlafräume aufgeräumt und die Schulrucksäcke gepackt. "Mama Betty" teilt den Kindern monatlich wechselnde Aufgaben zu, so dass sie lernen, sich gegenseitig zu unterstützen.
Ängsten und Sorgen Raum geben
In der Gruppentherapie mit dem Psychologen Charles Amin geht es heute um das Gefühl der Angst. „Malt auf, wann ihr Angst empfindet und wie ihr euch dabei fühlt“, fordert er die Teilnehmenden auf. Das Zeichnen hilft den Kindern, sich zu öffnen. Sebila malt einen Mann, der mit einer Machete vor ihr steht. Eine Situation aus ihren Albträumen, sagt sie. Mittlerweile hat sie einen Weg gefunden, damit umzugehen. „Wenn ich mal wieder schlecht träume, bete ich leise, um mich zu beruhigen“, erklärt sie. Charles Amin führt nicht nur Gruppen- und Einzeltherapien mit den Kindern durch, sondern schult auch die Betreuerinnen des Waisenkinderzentrums im traumasensiblen Umgang mit den Jungen und Mädchen.
Eine große Familie
"Sebila hat eine bemerkenswerte Eigenschaft," erzählt uns Psychologe Charles Amin. "Sie hat eine große innere Stärke. Trotz ihrer belastenden Vergangenheit schafft sie es, im Hier und Jetzt zu leben und nach vorne zu blicken. Sie liebt es zum Beispiel Volleyball zu spielen, powert sich beim Seilspringen aus und lernt eifrig für die Schule." Zwar fehlt es im Zentrum noch an vielem, zum Beispiel an ausreichend Medizin, Schuhen und Schulrucksäcken. Aber das Wichtigste ist: Die Kinder sind nicht mehr allein. "Für mich ist nicht nur Mama Betty wie eine Mutter, sondern auch die anderen Kinder sind wie Brüder und Schwestern. Wir sind eine große Familie", sagt Sebila und lacht.
Endlich wieder lernen
Sobald morgens um 6 Uhr die ersten Sonnenstrahlen über die Mauern des Waisenkinderzentrums fallen, machen sich Sebila und viele weitere Kinder von St. Claire auf den Weg zur Schule. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Pasca Alon geht Sebila in die 8. Klasse. "Meine Lieblingsfächer sind Mathe, Naturwissenschaft und Sozialkunde", erzählt sie stolz. Bevor Caritas international im vergangenen Jahr begann, das Projekt zu fördern, konnte es sich "Mama Betty" nicht leisten, die Schulgebühren zu finanzieren. Viele Kinder des Zentrums, darunter Pasca und Sebila, mussten die Schule für ein Jahr aussetzen. Mittlerweile können fast alle Jungen und Mädchen wieder den Unterricht besuchen.
Große Pläne für die Zukunft
Sebila und ihre Freundin Pasca zählen laut ihrem Mathelehrer zu den besten Schülerinnen. Aus gutem Grund: Beide haben genaue Vorstellungen von ihrer Zukunft: Sebila will Jura studieren, um für Gerechtigkeit zu kämpfen. Pasca möchte später Landwirte darin schulen, genug erschwingliche Nahrungsmittel für alle Menschen im Südsudan zu produzieren, Ihr Ziel: Weniger Menschen sollen hungern müssen. "Wenn ich als Anwältin erfolgreich bin, möchte ich das Waisenkinderzentrum verbessern," schildert Sebila ihre Pläne. "Ich möchte für die Kinder von St. Claire eine eigene Schule und ein kleines Krankenhaus bauen. Alle Kinder sollten lernen dürfen. Und kein Kind in Juba sollte mehr an behandelbaren Krankheiten sterben müssen."