Armut in Sibirien
Von der egalitären Gesellschaft, die Russland vor der Perestroika zu sein vorgab, ist das Land weit entfernt: Anfang der 1990er Jahre kam es zu einem dramatischen Anstieg der Ungleichverteilung und bis heute ist die Schere zwischen Arm und Reich in Russland groß. Dem jüngsten Credit-Suisse-Ranking 2022 zufolge, verfügt in Russland ein Prozent Bevölkerung über 58,6 Prozent des Vermögens, während sich knapp die Hälfte der Russinnen und Russen mit ihrem Einkommen gerade so Nahrungsmittel und Kleidung kaufen kann. Knapp zwei Drittel aller russischen Haushalte (63,5 Prozent) seien nicht in der Lage, langlebige Konsumgüter wie einen neuen Computer oder eine Waschmaschine zu erwerben, betonte im Jahr 2019 sogar die Moscow Times und bezog sich dabei auf eine Analyse des russischen Statistikamts Rosstat.
Doch die gesellschaftliche Spaltung in Gewinner und Verlierer der Modernisireung ist nicht unbedingt überall sichtbar. Viele alte, kranke oder junge und mittellose Menschen leben hinter privaten Mauern oder in abgelegenen Regionen. Ein Beispiel sind die Trabantenstädte in Sibirien. Es muss davon ausgegangen werden, dass Armut dort viel stärker verbreitet ist als im europäischen Teil Russland. Der ländliche Raum Sibiriens ist von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes vollkommen abgekoppelt. Die Bewohner_innen sind kaum in der Lage, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Besonders armutsgefährdet sind Rentner_innen, kinderreiche Familien oder eben jene, die nur ein sehr geringes Einkommen beziehen. Sie alle bekommen nur wenig bis keine Hilfe vom Staat.
Hinzu kommen jetzt die Sanktionen westlicher Staaten infolge des Ukraine-Kriegs, durch die die russische Wirtschaftsleistung im Jahr 2022 bereits zwischen drei und sechs Prozent schrumpfte. Die russische Währung Rubel verliert täglich weiter an Wert. Gleichzeitig verknappt sich das Angebot an Waren und Dienstleistungen in Russland und die Preise für die übrigen Güter schnellen in die Höhe. Das wiederum trifft insbesondere den armen Teil der Bevölkerung hart.
Schwere Folgen für die Kinder
Laut einem jüngst veröffentlichten UNICEF-Bericht, der sich auf Daten aus 22 Ländern stützt, wiegen die Auswirkungen des Krieges auf Kinder in Russland und der Ukraine besonders schwer. In Russland entfallen laut Bericht drei Viertel des Zuwachses an Kindern, die in Armut leben. Die Zahl armutsbetroffener Kinder stieg durch die Kriegsfolgen um 2,8 Millionen.
Je ärmer eine Familie ist, desto größer ist der Anteil ihres Einkommens, den sie für Lebensmittel und Brennstoffe muss, heißt es auch in der Studie. Wenn aber die Kosten für diese Güter stark stiegen - was sie durch die westlichen Sanktionen tun - bleibt weniger Geld übrig für andere Bedürfnisse wie Gesundheitsversorgung und Bildung der Kinder.
Hier sind wiederum Kinder, die in abgelegenen ländlichen Gebieten aufwachsen, besonders stark gefährdet. Auf dem Land brechen die staatlichen Strukturen teilweise zusammen. Schulen werden geschlossen, Sozialamt und Polizei aufgrund von finanziellen Problemen aufgelöst. Sibirien ist stark davon betroffen.
Auch gibt es in der Region viele Kinder und Jugendliche, die in Risikofamilien aufwachsen, also ohne elterliche Fürsorge oder in einem Umfeld, das durch Gewalt, Alkohol, Drogen und Prostitution geprägt ist. Die Kinder entwickeln oft Verhaltensauffälligkeiten und es fehlt ihnen nicht selten an sozialer Kompetenz. Sie werden deswegen in der Schule ausgegrenzt und diskriminiert. Es gibt jede weder pädagogische Modelle noch ausreichend qualifizierte Pädagog_innen für eine effektive Arbeit mit emotional traumatisierten Kindern.
Caritas international und seine Partnerorganisationen kümmern sich um die Kinder aus verarmten und sozial schwachen Familien. In den Zentren der Caritas Westsibirien werden neben den Kindern aus schwierigen Lebensverhältnissen auch 60 Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund betreut, die aufgrund von fehlenden Russischkenntnissen nicht beschult werden oder dem Schulunterricht nicht folgen können, und sowohl von den LehrerInnen als auch den MitschülerInnen diskriminiert werden. Die Wohnbedingungen dieser Familien sind genauso prekär wie die der armen russischen Familien.
Lesen hier mehr über die Hilfe der Caritas für Kinder in Russland.