Kolumbien: Hoffnung auf ein besseres Leben
Fast drei Millionen venezolanische Migranten und Migrantinnen leben inzwischen in Kolumbien. Ein großes Problem bleibt, dass viele von ihnen illegal sind. Da sie keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben, erhalten sie keine Arbeitsgenehmigung und werden leicht ausgebeutet. Frauen prostituieren sich, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Die Kinder gehen nicht zur Schule, weil das Geld für Schuluniformen, Hefte und Bücher fehlt. Sie gehen stattdessen betteln.
Zahlreiche Venezolaner und Venezolanerinnen kamen über die offiziellen oder inoffizielle Grenzübergänge nach Kolumbien. In den vergangenen fünf Jahren hat gut 25 Prozent der Bevölkerung Venezuela verlassen - auf der Suche nach Jobs und einem besseren Leben.Foto: Andrea Puentes
Diesem Teufelskreis aus Armut, Gewalt und Ausbeutung stellen sich seit Jahren viele helfende Hände entgegen. Caritas international unterstützt die Arbeit des Jesuitischen Flüchtlingsdienstes (JRS) in Cúcuta, der siebtgrößten Stadt Kolumbiens. Hier gibt es rund 20 informelle Siedlungen, in denen schätzungsweise 13.000 Menschen leben. Allein vier Jurist_innen des JRS halfen venezolanischen Migrant_innen in der Vergangenheit dabei, ihren Aufenthaltsstatus zu klären - mit großem Erfolg. Inzwischen sind die meisten Migrant_innen in Cucuta offiziell anerkannt. Ihre Kinder dürfen zur Schule gehen. Die Familien kommen einigermaßen über die Runden. Auch die Grenzen sind wieder geöffnet und der kleine Grenzverkehr mit Familienbesuchen hier und da findet wieder statt.
Hilfe ist aber weiterhin nötig, insbesondere um die Lebenssituation der Menschen in den informellen Siedlungen nachhaltig zu verbessern: JRS bietet beispielsweise Kurse zur Existenzgründung für Migrant_innen und Binnenvertriebene an. Die Teilnehmenden lernen dort, Geschäftsideen zu entwickeln, Marketing- und Kostenpläne zu erstellen und ihre Projekte anschließend umzusetzen. Rechtsberatung ist weiterhin gefragt. Immer häufiger geht es darum, die Eigentumsrechte für Landparzellen zu klären, auf denen die Migrant_innen ihre Hütten errichtet haben. Ein noch drängenderes Problem aber ist die fehlende Infrastruktur in den informellen Siedlungen: Viele haben immer noch keinen legalen Zugang zur Wasser- und Stromversorgung und keinen Anschluss an die öffentliche Kanalisation. Der Schwerpunkt der Caritas-Hilfen verlagert sich daher auf die politische Arbeit. Das Recht auf ein menschenwürdiges Leben ist ein international anerkanntes Menschenrecht. Caritas international setzt auf die Zusammenarbeit mit Behörden und staatlichen Stellen, um die Rechte der Betroffenen zu klären und einzufordern.
Viele Häuser in der Flüchtlingssiedlung Nueva Alianza in Cúcuta, Kolumbien, sehen noch immer so aus. Caritas international bemüht sich die Wellblechplatten zu erneuern.Foto: Andrea Puentes
Wie wir helfen
Die Unterstützung geht über die akute humanitäre Nothilfe - wie beispielsweise die Versorgung mit Lebensmitteln, Medizin oder regelmäßige Gesundheitscheckups - hinaus. Das Ziel der Projekte ist langfristig bessere Lebensbedingungen und mehr Chancen für die Migrant_innen zu schaffen, vor allem durch Bildung. Die Art der Hilfen ist dabei so vielfältig wie die Menschen, an die sie sich richtet. Zusammenfassend kann man von drei Schwerpunkten sprechen:
Beratung und Bildung
- juristische Beratung, psychosoziale Betreuung und Gesundheitsversorgung für Migrant_innen
- Übernahme der Mietkosten in den Flüchtlingssiedlungen - bis zu drei Monate lang.
- Finanzielle Unterstützung für Lebensmittel, Schulsachen und Transportmittel für den Schulweg, z.B. Fahrräder
- Nachhilfekurse für Kinder
Integration und Prävention
- Präventionspläne, um Menschenhandel, sexueller Ausbeutung oder Fremdenfeindlichkeit vorzubeugen
- Schutzräume für Kinder schaffen: zu Hause, in der Schule und in der Gemeinde
- Schulungen zum Thema Kinderschutz
- Verbesserte Ausstattung in den Schulen
Advocacy und Lobbying
- Dialogförderung und Mobilisierung öffentlicher Einrichtungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, ...
- ... um auf die sozialen Bedürfnisse der Migrant_innen, Geflüchteten und Rückkehrer_innen aufmerksam zu machen
- Unterstützung für Aufnahmegemeinden
Eine Mitarbeiterin von JRS registriert die wartenden Frauen und Kinder. Die Partnerorganisationen von Caritas international bietet in den Flüchtlingssiedlungen regelmäßig Weiterbildungskurse und Gesundheitschecks für die Einwohner_innen an.Foto: Andrea Puentes
Hintergrund: Warum kommen so viele Venezolaner und Venezolanerinnen nach Kolumbien?
Die Migrationswellen haben politische, wirtschaftliche und soziale Gründe. Zwischen 2014 und 2015 stieg die Zahl der venezolanischen Migranten und Migrantinnen, die nach Kolumbien kamen, kontinuierlich an. Zuerst verließen wohlhabende Unternehmerfamilien wegen politischer Verfolgung oder der Verstaatlichungspolitik ihr Land, dann traf die Wirtschaftskrise 2015 alle Teile der venezuelischen Bevölkerung hart. 2018 schlitterte das Land in eine Hyperinflation und die Grundversorgung wurde immer schwieriger. Vielen Familien mit geringerem Einkommen blieb nichts anderes übrig, als ihre Heimat zu verlassen und sich in dem Nachbarland Kolumbien einen Job zu suchen.
Laut einer landesweiten Erhebung der Lebensbedingungen in den Jahren 2019-2020 ist Venezuela das ärmste Land Lateinamerikas. 74 Prozent der Haushalte sind von mäßiger und schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen. Dreißig Prozent (639.000) der Kleinkinder unter fünf Jahren sind chronisch unterernährt.
Nach Angaben der R4V-Plattform* haben bis Juni 2024 insgesamt über 7,7 Millionen venezolanische Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten ihr Land verlassen, die große Mehrheit von ihnen (6,5 Millionen Menschen) lebt jetzt in direkten Nachbarländern und der Karibik. Die Gesamtbevölkerung Venezuelas ist dadurch in nur wenigen Jahren auf 28,2 Millionen Menschen geschrumpft.
Viele Venzolaner_innen zieht es in Kolumbiens Städte, weil sie hoffen, dort einen Job zu finden. Doch auch viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer haben zum Leben zu wenig. Die genannte Stadt Cúcuta, beispielsweise, hat 812.000 Einwohner und hat eine Arbeitslosenquote von 12,7 Prozent (Anfang 2024). Aber immer noch fünf von zehn Menschen in Cúcuta arbeiten informell, d.h. ohne vertragliche Grundlage, ohne festes Einkommen und ohne gesetzlichen Schutz. Fünf von zehn Einwohner_innen Cúcutas sind arm und zwei von zehn leben in extremer Armut. Mehr als 100.000 Einwohner_innen Cúcutas sind ursprünglich aus Venezuela, die Stadt hat damit den höchsten Anteil an venezolanisch stämmiger Bevölkerung in ganz Kolumbien