Ein Beitrag von Oliver Müller
Leiter Caritas international
23. August 2024 / Lesedauer: 3 Minuten
Die Lage im Kongo ist noch schlechter geworden. Das ist mir bei meiner letzten Reise deutlich vor Augen geführt worden. Mehr als sechs Millionen Menschen wurden durch die kriegerischen Auseinandersetzungen im Land vertrieben und ihre Zahl steigt stetig. Über 25 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen und zu trinken. Eine UN-Mitarbeiterin sagte mir: "Seit 30 Jahren haben wir im Ostkongo Bürgerkrieg und die Weltgemeinschaft ist es müde, schlechte Nachrichten von hier zu erhalten." Das trifft es. Die humanitäre Krise im Kongo bekommt viel zu wenig Aufmerksamkeit. Ich denke, das liegt auch daran, dass die Lage sehr unübersichtlich ist.
Die humanitäre Krise wegen des Bürgerkriegs im Kongo bekommt zu wenig Aufmerksamkeit
120 bewaffnete Gruppen sind in der Region aktiv, darunter viele verbrecherische Milizen. Auch Nachbarländer wie Ruanda und Uganda mischen in dem Konflikt mit. Ruanda etwa unterstützt die Hauptrebellengruppe, die sich M 23 nennt. Der kommunizierte Grund für die Unterstützung: 1994 sind ruandische Hutu-Milizen nach dem Genozid an den Tutsi in den Ostkongo, damals noch Zaire, geflohen. Manche Hutus leben immer noch dort. Das nimmt Ruanda bis heute zum Anlass, sich vom Ostkongo bedroht zu fühlen. Zugleich leben in der Region auch Tutsi, deren Sicherheit Ruanda als Grund nennt, um in dem Konflikt im Kongo mitzumischen. Eigentlich geht es aber auch um wirtschaftliche Interessen. Es gibt Beweise gibt, dass Ruanda Rohstoffe wie Coltan, Cobalt, Gold und Kupfer im Kongo erbeutet und über die Grenze schafft. 70 Prozent der weltweiten Coltan-Vorkommen liegen im Ostkongo, ebenso wird dort Cobalt abgebaut. Diese seltenen Erden brauchen wir für Batterien, Akkus und Smartphones. Der Hunger der Welt nach diesen Rohstoffen befeuert den Bürgerkrieg.
Um das Gewaltmonopol zu stärken, hat sich die kongolesische Regierung Verbündete gesucht. Zum Beispiel sind burundische Soldaten in der Bürgerkriegsregion unterwegs. Ebenso wie 1000 Söldner aus Osteuropa, die auf Seiten des Staates kämpfen. Diejenigen, die unter dem Krieg am meisten leiden, sind die Zivilisten. Viele von ihnen sind Kleinbauern, die auf den fruchtbaren Böden ein gutes Leben führen könnten. In der Realität aber werden Dörfer von bewaffneten Gruppen überfallen, die rauben, vergewaltigen und morden. Es gibt willkürliche Hinrichtungen. Mädchen und Jungen werden als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Zugleich locken die Rebellen die Jugendlichen mit Versprechen: "Komm mit uns, dann hast du jeden Tag eine Mahlzeit und zwischendurch sogar Fleisch zu essen." Was ist die Folge? Die Menschen fliehen aus ihren Dörfern. Die Einwohnerzahl von Goma, einer der größten Städte des Ostkongo, hat sich in den letzten 15 Jahren vervierfacht und liegt jetzt bei zwei Millionen Menschen. Es gibt 140 Vertriebenenlager rund um die Stadt, in denen schätzungsweise 700.000 Menschen leben. Oliver Müller: "Ich habe schon viele Flüchtlingslager gesehen, aber die Situation in Goma berührt mein Herz besonders, weil die Lage so dramatisch ist."
In den Flüchtlingslagern hausen Familien mit sechs Personen unter Plastikplanen oder in winzigen, vier Quadratmeter großen Zelten. Es gibt nicht ausreichend Wasser, Lebensmittel oder sanitäre Anlagen. Die Cholera ist ausgebrochen - ein Zeichen für verschmutztes Wasser. Besonders Frauen sind in den Lagern gefährdet: Wenn sie Brennholz sammeln oder die Latrinen aufsuchen, sind sie schutzlos. Täglich werden Frauen und Mädchen vergewaltigt.
Oliver Müller: "Ich habe schon viele Flüchtlingslager gesehen, aber die Situation in Goma berührt mein Herz besonders, weil die Lage so dramatisch ist."
Die Caritas-Hilfe in und um Goma ist vielfältig: In Gesundheitsstationen kümmern wir uns um die Frauen, die vergewaltigt wurden, und verabreichen etwa Medikamente, die eine HIV-Ansteckung verhindern. In mehreren Lagern hat die Caritas auch die Trinkwasserversorgung übernommen. Momentan kommen wieder mehr Vertriebene nach Goma, zugleich haben sich andere Hilfsorganisationen zurückgezogen.
Oliver Müller: "Wenn jemand nicht weiß, wofür humanitäre Hilfe notwendig ist, dann soll er nach Goma, in den Osten des Kongo, schauen."
Wir können einer sechsköpfigen Familie nur noch 20 Liter Wasser am Tag geben. Für mehr reicht es aktuell nicht. Denn wir bekommen praktisch keine Spenden für den Ostkongo. Das heißt, wir müssen unsere Projekte aus dem allgemeinen Topf nehmen oder auf öffentliche Mittel hoffen. Zum Beispiel ist die Wasserversorgung von Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert worden. Das ist jetzt ausgelaufen und auf unseren Nachfolge-Antrag haben wir noch keine Antwort erhalten. Allein könnten wir das Projekt auf keinen Fall stemmen. Wenn sich die Bundesregierung hier zurückzieht, wäre das eine Katastrophe. Die Menschen im Kongo brauchen dringend noch mehr Hilfe, wir dürfen sie nicht allein lassen. Wenn jemand nicht weiß, wofür humanitäre Hilfe notwendig ist, dann soll er nach Goma schauen.
Die Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben eine bewundernswerte Lebenskraft. Sie haben immer noch die Hoffnung, dass sie wieder in ihre Dörfer zurückkehren können und ihre Kinder in Frieden aufwachsen sehen. Auch der Glaube spielt für die Menschen eine wichtige Rolle. Ohne all das könnten sie in ihrer Lage nicht bestehen.
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