Ein Beitrag von Volker Gerdesmeier
Leiter des Referats Afrika bei Caritas international
01. Juni 2022 / Lesedauer: 3 Minuten
Meine Reise führte mich in ein Land mit extremen Ungleichheiten. Einer kleinen Elite, die vom Regime profitiert, steht die große Mehrheit der Bevölkerung gegenüber, die unter fehlenden Beteiligungschancen und Gewalt leidet. Die Provinz Lac, in der ich unterwegs war, liegt im Westen des Landes am Tschadsee. Dort kämpft die Regierungsarmee gegen den "Islamischen Staat Westafrikanische Provinz", die Nachfolgebewegung von Boko Haram.
Versöhnung verfeindeter Ethnien
Meine erste Station ist Tagal. Das Dorf liegt nahe an einem "bras mort", einem abgetrennten Ausläufer des Tschadsees. Der Lehrer des Dorfes berichtet mir von jahrelangen Spannungen. Es geht meistens um den Zugang zu Land oder um Konflikte der unterschiedlichen Ethnien. Aber es gibt auch rein zwischenmenschliche Spannungen - zum Beispiel zwischen Eheleuten. Viele Ehen in der Region werden unter Zwang geschlossen, Minderjährige gegen ihren Willen verheiratet. Dank unserer Partner vor Ort ändern sich die Einstellungen hier langsam. Die Dorfbevölkerung nimmt die Rechte von Frauen und Mädchen jetzt ernster. Freiwillige im Dorf haben sogar ein Mediations-Komitee eingerichtet. Wenn ein Streit eskaliert, greifen sie ein und schlichten, bevor es zu Gewalttaten kommt.
Hoffnung pflanzen
Weiter ging es nach Tchingam, einem Dorf im Westen des Landes. Als ich ankam, war ich begeistert: Mithilfe der Caritas-Spenden haben die Dorfbewohner_innen hier große Gemüse- und sogar Getreidefelder angelegt, mit Bäumen, Brunnen und einer Zisterne. Es ist eine regelrechte Oase entstanden. In Tchingam trägt unsere Hilfe wortwörtlich Früchte. Zwiebeln und Gombobohnen wachsen in rauen Mengen. Die Bäuerinnen und Bauern sind mit Elan bei der Arbeit und pflanzen täglich neues Leben - und Hoffnung an.
Cash und Vieh für den Neustart
In Markoum treffe ich Männer, die früher einmal als Saisonarbeiter in Nigeria oder auf den Inseln des Tschadsees gearbeitet haben. Wegen des Terrors durch den Islamischen Staat ist das nicht mehr möglich. Lange wussten die Arbeiter nicht, wie sie ihre Familien durchbringen sollen. Von der Caritas erhalten sie kleinere Beträge Bargeld - sogenannte Cash-Hilfen -, um schnell Lebensmittel und andere überlebenswichtige Dinge zu kaufen. Zusätzlich haben wir den Familien Geld für Kleinvieh gegeben. Die Tiere können sie züchten und verkaufen. Die Männer berichten mir, dass das Modell aufgeht. Ihre Familien hätten wieder genug zu essen und auch das Schulgeld für die Kinder können sie jetzt auftreiben. Ich spüre tiefe Dankbarkeit.
Eine Kasse für alle
In dem Fischerdorf Mamdi wird Gemeinschaft hochgehalten. Die Fischer betreiben neuerdings sogar eine Soli-Kasse. In regelmäßigen Abständen zahlt jeder einen Teil seiner Fangerträge ein. Geht das Fangnetz eines Kollegen verloren oder wird seine Piroge durch eines der Flusspferde zerstört, bekommt er Geld aus der Kasse, um den Schaden zu ersetzen. Bisher konnten bereits drei neue Boote finanziert werden. Die Caritas unterstützt das solidarische Modell.
Hilfe für Flüchtlinge und Einheimische
Als letzte Station besuche ich Logone Oriental ganz im Süden des Landes. Hier leben über 120.000 Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik, außerdem 90.000 "Rückkehrer", Nachkommen von tschadischen Migranten, die ebenfalls aus dem Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik geflohen sind. Die Menschen leiden unter Armut, die Region wird durch den Zentralstaat vernachlässigt.
Unsere Partnerin Caritas Goré leistet innovative Arbeit: sie unterstützt die "Rückkehrer" , aber auch die lokale Bevölkerung - und das als einzige Organisation in der Region. Die Einheimischen haben die de-facto-Flüchtlinge hier solidarisch aufgenommen, doch sie hatten Angst, auf Dauer ihre Felder zu verlieren, wenn sie sie den Ankommenden überlassen. Caritas hat daher Pachtverträge zwischen Flüchtlingen und Einheimischen ausgehandelt und garantiert auch für ihre Einhaltung. Außerdem bekommen die Bauern Geld, um das Land der Flüchtlinge mitzupflügen. Die Felder werden nun gemeinsam bearbeitet - so sind sogar Freundschaften entstanden.
Machen Sie mit! Teilen Sie unsere Beiträge und helfen Sie uns dabei, mehr Menschen zu erreichen.